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"Unschuld der Muslime": Ein Trash-Film als Zündfunke

Aufruhr, Tote und hasserfüllte Parolen in der arabischen Welt. Ein Film provoziert Gewalt? Nein, so ist es nicht. Religion und Meinungsfreiheit – ein alter Konflikt.

Die wütenden Massen in Kairo und anderswo haben diesmal auf die reichlich vorhandenen US-Flaggen zurückgreifen können. Beim Karikaturenstreit mussten die Wutzündler von der Sahara bis zum Hindukusch noch den dänischen Dannebrog besorgen, um ihn verbrennen zu können. Wer denkt bei religiösem Protest schon an das Musterland Dänemark?

Aufruhr, Tote, hasserfüllte Parolen und Gesichter auch damals, 2005, im Streit um die Mohammed-Karikaturen. Die Fanale und Anschläge gleichen sich. Diesmal ist es der amerikanische Trash-Film „Unschuld der Muslime“, der zum Vorwand für gezielte Terrorakte genommen wird. Der aber auch als Zündfunke für den Mob genügt, dafür, dass wahllos amerikanische Vertretungen und am Freitag auch eine deutsche Botschaft in Brand gesteckt wurden und ein erschreckender Hass auf den Westen wieder aufflackert. Der Konflikt um islamkritische, islamsatirische westliche Werke, um die Meinungsfreiheit auch für beißenden Humor oder dilettantischen Schund hat sich auch nach dem arabischen Frühling nicht abgemildert.

Sehen Sie hier eine Fotostrecke zu den Ausschreitungen in der arabischen Welt:

Die Zeichnung des Dänen Kurt Westergaard, der den Propheten mit einem Bomben-Turban abbildete, zielte auch auf die falsche Gleichstellung von Islam und Terror. Der Westen bekam einen Spiegel vorgehalten. Muslime fühlten sich dennoch provoziert: Die Karikatur illustrierte, wie intellektuell einfältig der Islam in der nichtarabischen Welt oft dargestellt wird, sie zeigte aber nun mal den Propheten als Bombenleger. Der 14-minütige Film „Unschuld der Muslime“ ist dagegen ein plumpes Machwerk, das weder als Grundlage für eine Diskussion taugt noch ernsthaft zum Protest Anlass geben müsste. Dass es sich angeblich um einen Trailer zu einem abendfüllenden Spielfilm handeln soll, gilt mittlerweile als ebenso unwahrscheinlich wie die Autorschaft eines gewissen Sam Bacile, der vermutlich gar nicht existiert, wie US-Medien herausgefunden haben (Tsp. vom 14.9.).

Die meisten Menschen, die jetzt wegen des Films auf die Straße gehen, haben ihn nicht gesehen. Vermutlich würde schon die Verbreitung eines Gerüchts über die Existenz eines solchen Films genügen, um Hass zu provozieren, einschließlich der im Netz gestreuten Legenden, die US-Regierung oder „100 reiche Juden“ hätten den Film finanziert. Anschläge und Anklagen wegen Blasphemie gehen überhaupt oft mit der Nichtkenntnis des inkriminierten Werks einher, bei Muslimen und Christen gleichermaßen. Diejenigen, die 1991 die Fatwa über Salman Rushdie verhängten und seine Übersetzer attackierten, hatten „Die satanischen Verse“ in der Regel nicht gelesen und machten keinen Hehl daraus. Zuvor hatte schon Martin Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi“ 1998 zu gewalttätigen Protesten und einem Anschlag auf ein französisches Kino geführt, in dem ein sich nach normalem Leben sehnender Jesus gezeigt wurde.

Auch in vorauseilendem Gehorsam lässt sich Freiheit beschneiden

Zuletzt erstattete eine ultrakatholische italienische Organisation Anzeige wegen „Paradies: Glaube“. Der Film, so die Begründung, überschreite die Grenzen der Toleranz und beinhalte sexuelle Handlungen mit einem Kruzifix. Die Eiferer, die vor dem Palazzo del Cinema in Venedig protestierten, hatten den alles andere als eifernden Film über eine erzfromme Katholikin ebenfalls nicht gesehen.

Meinungsfreiheit hat auch in Deutschland ihre Grenzen, zum Beispiel bei der Leugnung des Holocaust. Auch konkurrieren Persönlichkeitsrechte oder der Straftatbestand der Gefährdung des öffentlichen Friedens mit der Meinungsfreiheit: Nicht Glaubensbekenntnisse und Religionsgesellschaften sind hierzulande gesetzlich geschützt, sondern eben der öffentliche Frieden, sollte er durch die Beschimpfung von Gott oder Glaube gefährdet sein. Wer „Gott lästert“, macht sich nicht automatisch strafbar.

Video: Angriff auf deutsche Botschaft im Sudan:

Natürlich ist es schwer zu ertragen, dass Meinungsfreiheit auch für blanken Unfug und gefährliche Stimmungsmache gelten soll, etwa für antijüdische Kassenschlager wie den Film „Im Tal der Wölfe: Palästina“ von 2011, der Umfragen zufolge von den meisten muslimischen Jugendlichen in Deutschland als realistisch eingestuft wurde. Aber was wäre die Alternative: eine Meinungspolizei, die entscheidet, was kulturell wertvoll ist? Fanatiker, Fundamentalisten, Terroristen werden immer einen Vorwand zum Zündeln finden; die vorsorgliche Absetzung von Hans Neuenfels’ „Idomeneo“-Inszenierung (mit abgeschlagenen Mohammed-, Jesus- und Buddha-Köpfen) an der Deutschen Oper Berlin 2006 war ein Armutszeugnis für den westlichen Kunstbetrieb. Auch in vorauseilendem Gehorsam lässt sich Freiheit beschneiden.

Dass die angebliche Verletzung religiöser Gefühle als Vorwand für politische Interessen dient, hat zuletzt der Moskauer Prozess gegen die Sängerinnen von Pussy Riot gezeigt, die wegen „Rowdytum aus religiösem Hass“ verurteilt wurden. Dort inszenierte eine autokratische Staatsmacht, bei „Die Unschuld der Muslime“ sind es unbekannte Akteure, die sich die Mühe machten, die primitiven, nachträglich hineinsynchronosierten Beleidigungen Mohammeds auf Arabisch zu übersetzen und im Internet zu verbreiten. „Er tötet Kinder. Er verkauft sie als Sklaven, nachdem er und seine Männer sie misshandelt haben“, heißt es.

Aber negative Stereotype werden im Internet in solchem Tempo reproduziert, dass man eigentlich keine neuen Bilder mehr bräuchte. Sie existieren in den Köpfen und werden von Manipulatoren zur passenden Zeit aktiviert. Eine Selbstzensur des Westens erübrigt sich da erst recht. Selbst wenn Botschaften brennen.

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