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Foto: AFP/Dieter Nagl

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Kultur: Unsentimental

Zum 80. Geburtstag der Germanistin Ruth Klüger

„Es war leider nur Weißwein. Aber ein Stückerl Eis war erfreulicherweise drin“, sagt Ruth Klüger mit maliziösem Charme, wenn sie gefragt wird, ob sie einem Kollegen an der Princeton University tatsächlich einmal ein Glas Rotwein ins Gesicht schüttete. Der Kafka-Forscher stand in der akademischen Hierarchie unter ihr, was ihn offenbar veranlasste, ihr, der Jüdin und KZ-Überlebenden, antisemitische Äußerungen zu unterstellen. Doch Ruth Klüger hält sich in ihrem zweiten Memoirenband „unterwegs verloren“ (Zsolnay, 2008) nicht mit Beschwerden über die Männerwelt auf. Vielmehr nutzt sie die Anekdote, um ihren Lesern eine, wie sie versichert, „gut ausgearbeitete“ Theorie weiblicher Rachemöglichkeiten darzulegen.

„Ich komm nicht von Auschwitz her, ich stamm’ aus Wien“, wird sie oft zitiert. Dennoch prägt das Lagerkapitel ihr Leben bis heute. 1942 war die Tochter eines Frauenarztes mit ihrer Mutter nach Theresienstadt und später nach Auschwitz und ins schlesische KZ Christianstadt deportiert worden. Auf einem der berüchtigten Gefangenenmärsche gelang beiden die Flucht.

Nach dem Krieg legte sie in Straubing das Notabitur ab und besuchte zusammen mit Martin Walser die Theologisch-Philosophische Hochschule in Regensburg. 1947 wanderten Mutter und Tochter in die USA aus. Ruth Klüger studierte Bibliothekswissenschaft und Germanistik und begann ihre akademische Laufbahn an der University of Virginia, bis Rufe nach Princeton und Irvine in Kalifornien folgten. Jahrzehntelang publizierte die Mutter zweier Söhne unter ihrem Ehenamen Ruth K. Angress; die Scheidung empfand sie als Befreiung.

Seit 1988 auch Gastprofessorin in Göttingen, erlitt Ruth Klüger dort einen schweren Verkehrsunfall. Das brachte sie zum persönlichen Schreiben: Ihre Autobiografie „weiter leben. Eine Jugend“ von 1992 benennt so atemberaubend genau und unsentimental die Schrecken des Nationalsozialismus, aber auch ihren eigenen Überlebenswillen, dass sie zu einem überwältigenden Erfolg wurde.

Darin, dass Frauen anders schreiben und anders lesen, sind sich Ruth Klüger und der Nicht-Feminist Marcel Reich Ranicki einig; beide veröffentlichten entsprechende Bücher: Sie den Essay „Frauen lesen anders“, er die Anthologie „Frauen dichten anders“. Beide tröstete einst die deutschsprachige Lyrik – den Kritiker im Warschauer Ghetto, die Literaturwissenschaftlerin im KZ. Inzwischen doziert Ruth Klüger als erste Gastprofessorin des Reich-Ranicki-Lehrstuhls der Universität Tel Aviv. Ob sie über Barockdichtung, über Heinrich Heine oder Gegenwartsliteratur schreibt, stets ist ihr bewusst, dass Frauen unterschätzt werden. In ihrem jüngsten Buch „Was Frauen schreiben“ erweist sie sich erneut als argumentativ gewinnende, nicht als dekretierende Feministin. Ihren 80. Geburtstag feiert sie heute in Wien, wo die Dokumentation „Das Weiterleben der Ruth Klüger“ auf der Viennale Premiere feiert. Katrin Hillgruber

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