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Kultur: Unsere billigste Not

Häme, Hysterie und Triumphgefühle sind in der Rechtschreibreform-Debatte fehl am Platze / Von Georg Klein

Eigentlich wäre es ja schön, nun zu den Gewinnern zu gehören!

Als ich meinen Verlag 2001 und 2003 bat, unsere kommenden Bücher, einen Erzählband und einen Roman, entgegen dem bereits eingeführten Usus weiterhin in der alten Rechtschreibung zu drucken, war ich noch auf freundliches Entgegenkommen, auf Nachsicht mit den Sonderwünschen eines Schriftsteller angewiesen. Dabei litt ich an gar keiner besonderen Empfindlichkeit, ich glaubte bloß schlicht nicht daran, daß sich die neuen Regeln halten würden.

Arg wenig an dieser sogenannten Reform schien mir wirklich vereinfachend, einleuchtend originell oder in irgendeiner Weise befreiend. Das Ganze atmete nicht den Geist des Neuen, sondern hatte durchweg den müden Gang des gewohnten alten Herum-Dokterns. Dies war noch nicht die sinnstiftende Veränderung, für die man gern das kleine Opfer des Lernens und Umgewöhnens bringt, dies war gewiß noch nicht jene Erneuerung der deutschen Orthographie, die dem Deutschen eines Tages unter dem Druck der Globalisierung und dem Einfluß neuer Medien ins Haus stehen wird.

Ja, eigentlich wäre es nun schön zu den Gewinnern zu gehören!

Wenn meine Frau und ich in den zurückliegenden Jahren die öffentliche Debatte verfolgten, freuten wir uns oft über die vielen klugen Leserbriefe an die großen Zeitungen. Da waren sie, die engagierten Eltern und Pädagogen, die wissen, was es heißt, verantwortlich und verantwortungsbewußt mit geschriebener Sprache umzugehen. Menschen, die täglich mit Kindern an Texten saßen, sahen die Ärgerlichkeit der fruchtlosen Veränderungen, sie hatten aber auch das Augenmaß für die Begrenztheit des Unfugs, der da verlangt wurde. Es ging ja gottseidank immer nur um Orthographie, um das graphische Gewand unserer Sprache, an dem recht ungeschickt herumgeschneidert wurde. Die mißratene Rechtschreibreform schien uns eine glückende Öffentlichkeit gefunden zu haben und an der richtigen Stelle zu scheitern.

Merkwürdigerweise waren es aber oft die Schriftsteller, die das Maß verfehlten, und gleich das ganze Deutsch bedroht, den Leib unserer Sprache von den unnötigen Neuschreibungen regelrecht geschändet sahen. Einen Höhepunkt hysterischer Aufgeregtheit setzte vor zwei Wochen Hans Magnus Enzensberger, der von „einer Mafia“ sprach, die sich „zusammengerottet“ habe, „um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen.“ Weit schlimmer als die fahrlässige Gleichsetzung der Orthographie mit dem Gesamtorganismus unserer Sprache ist dabei die Art, wie Enzensberger sprachlich mit seinem Gegner umgeht.

Der Schriftsteller Enzensberger nennt die Kultusminister, die die Neuregelung beschlossen haben, unter anderem einen „Kreis von Legasthenikern“. Vermutlich hat der Kollege schon den einen oder anderen Kultusminister kennengelernt. Aber weiß er auch, wie die Menschen mit einer ernstlichen Lese- und Schreibschwäche, die sogenannten Legastheniker, um ihre Teilhabe an unseren Textwelten kämpfen? Wer jetzt den Legastheniker und die Legasthenie zum Schimpfwort und zum Kampfbegriff der Debatte macht, sagt wohl mehr über das eigene Sprachgefühl und über die eigene Sprachverantwortung als über das Sprachvermögen seiner Opponenten.

„Staatlich verordnete Legasthenie“, so haben wir es dann am Freitagabend aus dem Mund des „Spiegel“-Chefredakteurs Stefan Aust in der Tagesschau wiedergehört. Wie nennt man diese rethorischen Verfahren, die das unverschuldete Handicap einer Minderheit dazu benutzen, um bei der Mehrheit auf billige Weise eine fixe Zustimmung für die eigene Position abzuzocken?

Wie gesagt, es wäre eigentlich schön, zu den Gewinnern zu gehören!

Ich bin unverändert für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Aber es geht weiterhin nur um eine Frage von begrenzter Bedeutung. Häme, Hysterie und Triumphgefühle sind dabei völlig fehl am Platze. Wie wir das eine oder andere Wort schreiben werden, dies ist eine unserer kleineren, unserer billigeren Nöte. Weit größere Veränderungen stehen der deutschen Gesellschaft ins Haus. Und wir können von Glück reden, wenn sie den Charakter von freimütig diskutierten und staatlich geregelten Reformen haben werden. Denn weit tiefere Schluchten drohen in der deutschen Bevölkerung aufzubrechen, als der kleine Graben, der sich zwischen Schreibreform-Gegnern und Befürwortern aufgetan hat. Populismus aber – auch in den weniger wichtigen Fragen! – ist wahrlich das letzte, was wir zur Zeit öffentlich einüben sollten.

Georg Klein lebt mit seiner Frau, der Schriftstellerin Katrin de Vries, in Dollart/Ostfriesland. Soeben erschien im Rowohlt-Verlag sein Roman „Die Sonne scheint uns“ (vgl. Rezension auf Seite 28).

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