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Kultur: Unsere Geister leben noch

Sebastian Hartmann veralbert Majakowskis „Mysterium buffo“

Das Bild ist groß: Von der Decke hängt kopfüber ein Reisebus, in dessen Innenraum sich die letzten, geretteten Erdenbewohner geflüchtet haben. Die Arche aus Vladimir Majakowskis Revolutionsstück „Mysterium Buffo“ ist in Sebastian Hartmanns Inszenierung an der Volksbühne eine kippelige Angelegenheit. Verlagert man das Gewicht, ruckt das Gefährt in den Seilen und stürzt schließlich ab. Ein Bild für den ganzen Abend: Auch dieser kippelt und stürzt ständig ab, mal in die eine, mal in die andere Richtung. Ist hermetisch, unverständlich - oder schlicht albern. Da zeigt ein Zauberer Tricks, die keine sind, jemand schlägt Rad, ein Schauspieler steigt zwischendrin aus, begrüßt Bekannte im Publikum, geht im Foyer Kaffee holen. Die Teufel denken nur ans Ficken, die Engel sind Brüllbabies, zwei Eskimos singen ihre Lieder, Schauspieler rennen im Kreis und am Ende schwenken alle rote Fahnen.

„Mysterium – das ist das Großartige an der Revolution“, hatte Majakowski gesagt, „Buffo – das ist das Lächerliche daran.“ Großartig sind auch manche Bilder, die Hartmann findet, doch der Schritt zur Lächerlichkeit ist schnell getan. So lässt er nach Absturz der Arche zwei Überlebende auf ihrem Dach über Gott und die Welt diskutieren, während sie Spaghetti in sich hineinstopfen. „Sie glauben an Gott?“, was für eine Frage zu Beginn einer Diskussion. Das Ergebnis lautet: Es gibt keine Auferstehung. Das war nur ein psychischer Schub, kurz vor dem Kreuzestod. Der Rest ist Bühnennebel.

Glauben. Religion. Gott. Modethemen derzeit, auch an der Volksbühne, wo zuletzt Ulrich Seidls „Vater Unser“ Premiere hatte. Das Übersinnliche hat Konjunktur. Mag sein, dass Sebastian Hartmann, der am Haus zuletzt mit dem „Traumspiel“ und einer schönen Inszenierung von Ibsens „Gespenstern“ hervorgetreten war, selbst zu viele Gespenster gesehen hat. Ist doch das revolutionäre Mysterienspiel in sechs Aufzügen, das er sich diesmal ausgesucht hat, selbst schon ein Gespenstertext. Das erste sowjetische Theaterstück überhaupt, 1918 zum Jahrestag der Oktoberrevolution uraufgeführt und vom Dichter mehrfach überarbeitet, hat sich selbst überlebt.

Majakowskis Welttheater setzt ein nach der Sintflut, vor der sich einige Erdenbewohner gerettet haben. Diese treffen sich am Nordpol, besteigen eine Arche, reisen durch Himmel und Hölle, durch wüstes Land, um schließlich am Horizont verheißungsvoll die Vision eines „gelobten Landes“ zu erblicken, in dem Mensch und Maschine friedvoll zusammenarbeiten. Das war 1918. Am 14. April 1930 erschießt sich Majakowski, verzweifelt über die Realität einer Sowjetgesellschaft, die er wenige Jahre zuvor noch so enthusiastisch gefeiert hatte.

In der Volksbühne peitschen die Schüsse schon zu Beginn durch den Saal. Es folgt die Beschwörung eines toten Dichters: Hagen Oechel als Majakowski wispert seinen Prolog so tonlos, dass nicht viel zu verstehen ist. Später wird er verzagt ins Publikum fragen: „Bin ich zu leise?“ und mit unendlicher Anstrengung ein wenig die Stimme heben. Der Revolutionär, der manchmal noch eine rote Fahne schwenken darf, bricht unter der Last seiner Existenz fast zusammen, streitet mit seiner Angebeteten Lilja Brik, kriecht zitternd in einen Kühlschrank, verendet schließlich im Schatten einer Wolke, auf der – schöner Gedanke – sich videoschemengleich eine Figur erhebt: die Seele des Dichters, oder nur sein Gespenst? Kurz vor Schluss steht Oechel flehend an der Rampe, bittet die Zuschauer um Nachsicht für den Künstler, der anders als die feigen Kritiker zumindest etwas gewagt habe. Eine Bitte, die man nach diesem Abend lieber nicht erfüllen möchte.

Wieder am 13., 18. und 31. Mai, jeweils 19.30 Uhr

Christina Tilmann

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