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Kultur: Unter der Brause liegt der Strand: Fotos aus Kaliningrad

Nirgends ist der Mensch so verletzlich wie unter der Dusche. Das wusste schon Hitchcock, als er die Mordszene in „Psycho“ drehte.

Nirgends ist der Mensch so verletzlich wie unter der Dusche. Das wusste schon Hitchcock, als er die Mordszene in „Psycho“ drehte. Der Fotograf Juri Pawlow aus Kaliningrad hat ein Dutzend Bekannte barhäuptig unter eine Brause gestellt: Der Herr links heißt Viktor und ist arbeitslos, daneben sehen wir Walter, der als Sozialpädagoge in Hamburg arbeitet. Beide sehen gleich glücklich aus, in diesem magischen Moment, in dem der sanfte Wasserstrahl sie in prustende Wonneproppen verwandelt. Wer hier Russe und wer Deutscher ist, bleibt unentscheidbar. Was die Männer verbindet, ist ein biografischer Zufall: Walter wurde in Königsberg geboren, Viktor lebt jetzt dort, im heutigen Kaliningrad.

Das Ineinanderfließen der Identitäten ist Thema einer Fotoausstellung anlässlich der „Kaliningrader Kulturtage“ in Hohenschönhausen. Denn wie bei einem Palimpsest scheinen Spuren der früheren deutschen Bewohner Königsbergs auf nahezu allen Fotografien durch. Am deutlichsten bei denen von Lew Klimzow, der 1996 starb. Seine Aufnahmen aus den Jahren 1948 bis 1952, die erstmals in Deutschland zu sehen sind, hätten den Reiz eines privaten Fotoalbums, wären sie nicht in so gespenstischer Umgebung entstanden. Da posiert „Lida“ am Sockel eines BismarckDenkmals, auf dem der Reichskanzler mit Loch im Kopf thront. Im Hintergrund gähnen die Fensterhöhlen von Kriegsruinen. Auch die Holztribüne der Apparatschiks, die eine 1.-Mai-Demonstration abnehmen, steht inmitten von Trümmern. Klimzows Schnappschüsse wirken oft ungelenk. Nichtsdestoweniger sind sie historische Dokumente ersten Ranges, zeigen sie doch, wie fremd und unbehaust sich die russischen Neusiedler in den ersten Jahren an ihrem Ankunftsort fühlten. Dmitri Wyschemirski hat erst vor wenigen Jahren Paar fotografiert, das sich auf einer Brücke küsst. Auf den Pfeilern steht eine kaum noch lesbare Parole: „Wählt Thälmann!“ (ohe)

„studio im hochhaus", Zingster Straße 25, Lichtenberg, bis 9. Dezember, Mo bis Mi 14 - 18 Uhr, Do 14 - 19 Uhr.

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