zum Hauptinhalt

Kultur: Unter heißer Sonne

Auktionssaison: Heute beginnt die Vorbesichtigung in der Villa Grisebach

Die Herbst-Kataloge der Villa Grisebach gleichen einem Kompendium über 150 Jahre Kunstgeschichte. Allein 21 Gemälde sind im sechsstelligen Eurobereich bewertet; darunter das „Mädchen mit Hut zwischen Birkenstämmen“ von Paula Modersohn-Becker, Lyonel Feiningers „The Anglers (Black Bridge)“ aus dem Jahre 1942 sowie Oskar Schlemmers „Drei Profilköpfe, vertikal II“; 41 mal zehn Zentimeter misst die Leinwand, für die 100000 bis 150000 Euro erwartet werden. Eine großformatige „Pastorale“ von Ernst Wilhelm Nay dominiert die Nachkriegsmoderne mit geschätzten 250000 bis 350000 Euro.

Den historischen Auftakt stimmen eine Goethe-Büste aus der Werkstatt Christian Daniel Rauchs (40000–60000 Euro) sowie zwei ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Gemälde von Eduard Gärtner an, dessen detailgetreue „Ansicht von Magdeburg vom östlichen Elbufer“ auf 250000 bis 300000 Euro taxiert ist. In jeder Hinsicht strahlender Mittelpunkt der Abendauktion „Ausgewählte Werke“ am kommenden Freitag ist Emil Noldes „Sommerglut“. 1950 als eines der letzten Ölgemälde vollendet, spiegelt es die ungebrochen visionäre Kraft des 83-Jährigen wider, die weit über das abstrahierende Landschaftssujet hinausweist. Mit geschätzten 400000 bis 600000 Euro führt es die Preisspitze der insgesamt fünf Auktionen an. Wie verschieden die Facetten des Sommers sind, zeigt demgegenüber Max Liebermanns zurückhaltend koloriertes „Strandbild mit spielenden Kindern“ von 1901. „Wissen Sie, das mit den zerlegten Farben, das ist alles Unsinn. Ich habe es jetzt wieder gesehen, die Natur ist einfach und grau“, hatte der Berliner Maler 1894 mit trockenem Witz konstatiert. Das auf 200000 bis 300000 Euro veranschlagte Holland-Motiv stellt ein lebendiges Zeugnis dieser nuancenreichen Graupalette dar. Zwei kürzlich erst wieder entdeckte Wannseebilder (60000–80000 und 250000–350 000 Euro) runden die Liebermann-Offerte ab.

Beim Expressionismus ragen Christian Rohlffs charakteristisches Temperabild „Das Rote Dach“ (250000–350000 Euro) und ein „Stillleben mit Äpfeln und Flasche“ von Karl Schmidt-Rottluff für 300000 bis 400000 Euro heraus. Mit der gleichen Schätzung kommt ein „Abstrakter Kopf“ Alexej von Jawlenskys zum Aufruf. In seiner klaren Struktur und dem pastellenen Kolorit wetteifert er um die Gunst der Sammler mit dem dunkel gestimmten „Atonal“ aus der gleichen Serie (250000–350000 Euro), der aus der Kollektion Roswitha von Bergmanns stammt. Die Sonderauktion mit 50 Werken aus dem Nachlass der in diesem Jahr verstorbenen Politikerin und Psychotherapeutin vereint eine konsequente Sammlung des Konstruktivismus: Lissitzky, Rodtschenko und Malewitsch, aber auch weniger prominente Künstler der osteuropäischen Avantgarde sowie Skulpturen bis in die Neunzigerjahre.

Jüngstes Bild der „Ausgewählten Werke“ ist Gerhard Richters „Grün, Blau, Rot“. 1993 als Edition des Kunstmagazins Parkett herausgegeben, kostete ein Unikat aus der heiß begehrten, 115-teiligen Serie umgerechnet 3000 Euro – nun werden 35000 bis 45000 Euro erwartet. Insgesamt wirkt das Angebot der zeitgenössischen Kunst frischer als in den vergangenen Jahren: Allein von dem 1967 geborenen Eberhard Havekost finden sich fünf Arbeiten in der Auktion mit Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Wobei das Triptychon „Camouflage“ bei einer oberen Schätzung von 28000 Euro vergleichsweise günstig taxiert ist – liegt der Preis doch knapp unter der Hälfte der zu Beginn dieses Monats in New York erzielten Rekordsumme.Wie sehr die seit fünf Jahren florierenden Comtemporary-Auktionen bei Sotheby’s, Christie’s den Markt beschleunigen, machen auch die kürzer werdenden Zeitspannen sichtbar: So ist ein „Spiegelobjekt“ von Isa Genzken (5000–7000 Euro) bei Grisebach gerade einmal zwei Jahre alt.

Auch in der Fotografie dominieren Zeitgenossen: Axel Hüttes 1994 aufgenommener „Alexanderplatz“ übersteigt mit einer Schätzung von 12000 bis 16000 Euro selbst Klassiker wie Albert Renger-Patzsch oder Hugo Erfurth, dessen eindringliches Porträt von Max Beckmann mit 8000 bis 12000 Euro bewertet ist. Lediglich Dorothea Lange übertrifft Hütte mit einer Taxe von 12000 bis 18000 Euro für „Migrant Mother“, einer Inkunabel der Dokumentar-Fotografie. Spannend bleibt, ob das eher ruhige Fotografie-Angebot der Villa Grisebach von den Spitzenpreisen für die Sammlung Lambert, die kürzlich bei Phillips in New York erzielt wurden, beflügelt wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false