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Kultur: Unter Postmodernisten

ROCK

Müsste der Begriff Weltmusik nicht für jede Form von Folklore herhalten, wäre er Pushkin Boom Beat tatsächlich angemessen. Seit sieben Jahren tingelt diese grandiose Gruppe über Berliner Bühnen, ohne mehr als eine kleine Fangemeinde zu gewinnen. Offenbar verwirrt, dass die Mitglieder Einflüsse aus drei Kontinenten miteinander verquirlen: Der russische Bandleader Sascha Pushkin wurde in Sankt Petersburg zum klassischen Pianisten ausgebildet, Percussionist Souleymane Toure von der Elfenbeinküste begleitete schon Afrikas Reggae-Superstar Alpha Blondy, Gitarrist Jörg-Maria Zeger erforschte früher als Musikethnologe traditionelle Weisen auf Sumatra und Multiinstrumentalist Jim Lametta steuert seltene Klangfarben auf dem Cello oder der Balalaika bei.

Die vier Nonkonformisten beweisen, dass multikulturelle Experimente Unerhörtes zu Stande bringen können: „Psycho-Active- Ethno-Industrial“ nennen sie ihr Klanggebräu. Was unter diesem Wortmonster zu verstehen ist, demonstrieren sie im Kaffee Burger (wieder am Freitag um 21 Uhr im RAW-Tempel, Revaler Str. 99). Subtil pulsierende Rhythmussequenzen reichern sie mit minimalistisch mäandernden Melodiesprengseln an. Zusammengehalten von Pushkins Kauderwelschgesang aus Englisch, Russisch und Scat-Silben, wechseln streng durchkomponierte Passagen und Kollektivimprovisationen in rascher Folge. In ihrer hypnotischen Qualität erinnert diese Musik an die britischen Soft Machine in den Sechzigern, die deutschen Can in den Siebzigern, die Rasenden Leichenbeschauer aus Ungarn in den Achtzigerjahren. Postmodernes Schamanentum auf der Höhe seiner Zeit.

Oliver Heilwagen

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