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Kultur: Unter schwarzer Sonne

Neu aufgelegt: Jakob Tuggeners Industriefotografien.

Nicht, dass Industriearbeit gänzlich verschwunden wäre. Sie ist nur der öffentlichen Wahrnehmung entrückt – und mit ihr die Industriefotografie. In den zwanziger und dreißiger Jahren gab es noch eine Fülle von Fotobüchern, in denen die industrielle Lebenswelt dargestellt, gefeiert und oft auch verdammt wurde – stets in ausdrucksstarkem Schwarz-Weiß.

In diese Ästhetik gehört der Bildband „Fabrik“ des Schweizers Jakob Tuggener (1904-1988), dessen Untertitel „Ein Bildepos der Technik“ auf eine falsche Fährte führt. Denn Tuggeners Bilder zeigen gerade nicht das Epische der Industrie, das in Büchern wie „Der Gigant an der Ruhr“ von 1928 beschworen wird, sondern die Fragmentierung der Tätigkeiten – und die Vereinzelung derer, die sie ausüben.

Das bislang nur Kennern bekannte, ursprünglich 1943 in der Schweiz erschienene Buch ist jetzt in einer perfekten Faksimile-Ausgabe bei Steidl neu aufgelegt worden. Die Schweiz war als Waffenlieferant vor allem für die deutsche Wehrmacht tief in einen Krieg verstrickt, aus dem sie sich politisch scheinbar heraushielt. Man muss diesen Hintergrund nicht strapazieren, um bei Tuggeners Buch einen Pessimismus zu finden, der vorangehenden Büchern zum Thema unbekannt ist. Der Schweizer Fotograf, Filmer und Maler arrangiert seine Aufnahmen, die als Nebenprodukt zu einer Firmenbroschüre für die Maschinenfabrik Oerlikon entstanden, in filmischer Sequenz. Von der Wasserkraft als der ersten Energiequelle für Mühlen und Spinnereien kommt er zu Stahlwerken und Maschinenfabriken, um am Ende bei der modernen Elektrizitätsgewinnung durch Wasserkraftwerke zu enden. Dazwischen ältere Arbeiter mit verwitterten Gesichtern, junge Mädchen mit Konstruktionszeichnungen zwischen Werkteilen; alle stets einzeln und einsam.

Tuggener mischt die nüchterne Dingwelt eines Renger-Patzsch mit den dynamischen Perspektiven eines Rodtschenko und den soziologischen Porträts eines Sander oder Lerski. Es leuchtet keine Sonne auf den Bildern, selbst da nicht, wo sie bei einer Außenansicht einmal scheint. Als ob sie in diese abgeschlossene Welt der Werkhallen, Schornsteine und Elektroleitungen nicht einzudringen vermag. In die Gesichter der Arbeitenden schon gar nicht. Bernhard Schulz

Jak Tuggener:

Fabrik. Ein Bildepos der Technik. Hrsg.

von der Jakob-Tuggener-Stiftung. Steidl

Verlag, Göttingen 2012. 132 S. mit 95

Abbildungen in

Quadrotone, 65 €.

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