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Kunst und Alltag. Aus Anlass der Havanna-Biennale 2012 haben José Parlá und der französische Graffiti-Künstler JR Porträts älterer Bewohner der Stadt geschaffen. Foto: Reuters

© REUTERS

Unterwegs auf Kuba: Reif für den Wandel

Die Notwirtschaft hört nicht auf, die Künstler setzen da und dort auf Freiheit, das Volk flüchtet sich in politischen Sarkasmus: Eine Reise durch Kubas Kunst und Alltag - nach dem Tod von Hugo Chávez und in einer Welt aus Witzen über Fidel Castro.

„Hay agua!“ Es gibt Wasser, fantastisch, ruft ein Tourist beim Verlassen der Flughafentoilette und bringt die auf ihre Koffer wartenden Passagiere zum Lachen. Das Gepäckförderband steht still, die Klimaanlage streikt, überall lungern uniformierte Aufpasser herum, aber niemand will Hand anlegen oder Auskunft geben.

Während viele Bürger der Industriestaaten mit Übergewicht zu kämpfen haben, wirken die Einwohner von Havanna ausgemergelt: abgestumpft und demoralisiert durch revolutionäre Appelle, die so aggressiv wie fragwürdig sind. „Seid der Geschichte würdig – die Blockade gegen Kuba ist der größte Genozid des 21. Jahrhunderts!“ Der Widerspruch zwischen Propaganda und Wirklichkeit ist zur zweiten Natur geworden, etwas anderes als staatlich kontrollierte Mangelwirtschaft kaum noch vorstellbar, und das einzige Verbot, das keine Beachtung findet, ist das Rauchverbot. Zwar hat die Versorgungslage sich leicht gebessert, und die kürzlich verkündete Reisefreiheit weckt Hoffnungen. Aber nur wenige profitieren davon, weil Flugtickets, Pass- und Visagebühren in Euro zu entrichten und so unerschwinglich sind wie frisches Fleisch, Obst und Gemüse, das nur zu exorbitanten Preisen erhältlich ist. Ein zaghafter Aufschwung also, aber besser als nichts, während der längst redundante Diskurs der Macht unverändert von Rednertribünen, aus Fernsehern und Radios schallt.

Auf dem Weg in die Innenstadt höre ich zum ersten Mal einen Witz, der mich von nun an ständig begleiten wird. Fidel Castro sitzt am Krankenbett seines Freundes Hugo Chávez, es klopft an der Tür, der Tod tritt ein. „Wer von euch beiden ist Fidel Castro?“, fragt der Tod. Fidel zeigt auf Chávez, und der Tod transportiert den schwer kranken Patienten ab. Kubas Volksmund wusste offenbar vorab, was dieser Tage geschehen sollte. Noch aufschlussreicher ist ein als Interview getarnter Monolog, den Fidel Castro am 3. Februar, dem Tag der Parlamentswahl, zu Protokoll gegeben hat. Zur allgemeinen Überraschung erschien der Text ungekürzt in der Parteizeitung „Granma“. Hier ein Auszug:

„Ich hatte nach der Höhe und der Anzahl der Stufen gefragt, als ich im Oktober 2004 in Santa Clara die Treppe runterfiel. Danach war ich zwei Jahre bettlägerig. Was ist das für ein Apparat? Ein Aufnahmegerät? Ist es billig oder teuer? Was kosten die Batterien? Und was ist das da? Sieht aus wie ein Telefon. Ich benutze auch so ein Gerät, meine Mitarbeiter helfen mir dabei. Worauf wartet die junge Pionierin? Hat sie schon gefrühstückt? Diesen Eingang kannte ich noch nicht. Wo sind die Stufen geblieben? Ich gehe gern Treppen hoch. Heute las ich in der Zeitung, dass man in den Pyrenäen Reste eines Neandertalers entdeckt hat, der intelligenter war als der homo sapiens. Eine holländische Firma plant die Besiedlung des Mars und rekrutiert junge Leute dafür. Der Mars hat eine dünnere Atmosphäre und weniger Schwerkraft als die Erde, und Holland schickt Jugendliche dorthin. Die Weltbevölkerung wächst jedes Jahr um 100 Millionen Menschen, eine unglaubliche Zahl. Die Evolution des homo sapiens hat den Krieg nicht verhindert, Instinkte und Egoismus waren stärker als jede Vernunft. Und die Drohnen. Oder die Oktoberkrise, als Kuba kurz davor war, zum atomaren Schlachtfeld zu werden? Und später, als wir Angola gegen die südafrikanischen Rassisten verteidigten? 50 000 Kubaner und Angolaner gegen ... reden wir lieber vom Gipfeltreffen in Chile. Ich weiß nicht, wann die politischen Führer Europas nach Hause gehen und schlafen. Die Merkel zum Beispiel, ruht die sich nie aus? Ich sehe sie immer auf Achse, außerhalb Deutschlands…!“

Der Revolutionär mit dem Rauschebart sieht nicht nur aus wie Don Quijote, er ist der Ritter von der traurigen Gestalt, der gegen Windmühlen namens Kapitalismus und Imperialismus zu Felde zieht, ohne zu begreifen, dass das Ritterzeitalter der Vergangenheit angehört. Auch Che Guevara verglich sich mit Don Quijote und brach auf seiner Rosinante zu neuen Ufern auf, doch es fragt sich, wer die Rolle des Sancho Pansa spielte und spielt. Raúl Castro vielleicht? Oder das kubanische Volk, das die Heldentaten seiner selbsternannten Führer ausbaden und den Gürtel von Mal zu Mal enger schnallen muss?

Der Übergang vo Fidel zu Raúl Castro nur vorübergehende Besserungen

Marktwirtschaftliche Reformen gab es immer nur auf Widerruf. Ständig werden den Kubanern neue Opfer abverlangt, und der Übergang von Fidel zu Raúl Castro brachte statt des erhofften Klimawandels nur eine vorübergehende Wetterbesserung, genau wie der Wechsel von Kim Il Sung zu Kim Jong Il in Nordkorea.

Das könnte sich ändern, denn bei der Eröffnung der Nationalversammlung Ende Februar ließ Raúl Castro durchblicken, dass er amtsmüde ist und die Macht an den Vizepräsidenten des Ministerrats, Miguel Díaz-Canel Bermúdez, abtreten möchte, einen Technokraten, der den in den Scharnieren knarrenden Apparat nicht nur ölen und schmieren, sondern generalüberholen soll.

„Nichts wird sich ändern“, meint dagegen Piter Ortega Nuñez, der neue Shootingstar der Kunstszene. Selbst kein Künstler, wird er als einflussreicher Kritiker nicht müde, den Staub und Muff in Havannas staatlichen Museen und Galerien anzuprangern. Die von ihm kuratierte, gerade zu Ende gegangene Ausstellung „Sex in the City“ in der Galerie La Acacia schlug alle Besucherrekorde, weil sie Kubas kulturelles Establishment an einem wunden Punkt attackiert, an dem es Unrechtsbewusstsein verspürt. Gemeint ist die Verfolgung und Unterdrückung schwuler Künstler und Literaten von Heberto Padilla und Virgilio Piñera bis zu Reinaldo Arenas und Antón Arrufat. Die noch von Che Guevara initiierte Hexenjagd trieb viele Intellektuelle ins innere und äußere Exil – oder in den Tod.

"Sex in the City“ ging das Thema frontal an, indem die Schau Bilder von Männern beim Sex zeigte, fotorealistisch genau statt vornehm umschreibend oder subtil anspielend. Stein des Anstoßes war dennoch kein erigierter Penis, sondern eine Polizeimütze, durch die ein Veteran der Revolution sich in seinen patriotischen Gefühlen verletzt fühlte. Ein Sturm selbstgerechter Empörung brach los, aber nach Intervention von oben durfte die Ausstellung unverändert gezeigt werden, einschließlich der olivgrünen Mütze, die ein Polizist beim Zungenkuss statt beim sozialistischen Bruderkuss trägt.

„Es gibt sexuelle Freiheiten in Kuba“, erklärt Piter Ortega Nuñez, „die Freiräume eröffnen für Kunst und Literatur.“ Er verweist auf die vom Goethe-Institut gesponserte kubanische Erstaufführung von Hans Werner Henzes Rezital „El Cimarrón“ über einen entflohenen Sklaven, das 1969/70 in Kuba entstand, dort aber jahrzehntelang auf Eis lag. Und auf Fassbinders frühes Theaterstück „Tropfen auf heiße Steine“ über Männerliebe und Geschlechteridentität, mitreißend inszeniert von Carlos Díaz am Teatro El Público. Auch Fassbinders Kammerspiel verleiht dem neuen Lebensgefühl Ausdruck – es ist seit Wochen ausverkauft.

H. C. Buch lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin. Sein Roman „Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod“ erschien soeben in der Frankfurter Verlagsanstalt.

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