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Kultur: Uran-Geschosse: Klärungsbedarf

Manches erfährt auch ein Minister nur durch Zufall. Als Rudolf Scharping am Freitag im Bundestag eine Liste mit neun mutmaßlichen Uran-Unfällen der US-Armee verlas, hatte der Verteidigungsminister die Information keineswegs direkt vom Absender bekommen.

Von Robert Birnbaum

Manches erfährt auch ein Minister nur durch Zufall. Als Rudolf Scharping am Freitag im Bundestag eine Liste mit neun mutmaßlichen Uran-Unfällen der US-Armee verlas, hatte der Verteidigungsminister die Information keineswegs direkt vom Absender bekommen. Die Zusammenstellung amerikanischer Stellen war adressiert an die Landesregierungen, in deren Bundesländern in den 80er und frühen 90er Jahren auf US-Übungsplätzen "versehentlich" Uran-Granaten verschossen wurden oder US-Panzer ausbrannten, die vielleicht die umstrittene Munition an Bord hatten. Die Bonner Hardthöhe oder der Berliner Bendler-Block kamen im Postverteiler der Amerikaner nicht vor. Das Papier landete nur auf informellen Pfaden auf dem Schreibtisch des Ministers.

Der Vorgang aus der Dauerserie "Pleiten, Pech und Pannen" wäre der Erwähnung kaum wert. Aber es sind solche Vorgänge, die dazu beigetragen haben, dass Scharping am vorigen Mittwoch den amerikanischen Geschäftsträger in Berlin zu sich einbestellte und energisch um Herausgabe aller Informationen über die im Kosovo und zuvor in Bosnien verschossene Uran-Munition ersuchte. Anlass für den harschen Umgang mit dem großen Verbündeten waren Berichte und Untersuchungsbefunde, die den Schluss nahelegten, die Munition könnte neben eher ungefährlichem Uran auch das ungleich brisantere Plutonium enthalten.

Das war Scharping neu. Es ließ ihn dumm dastehen. Bis dahin hatte der Minister über Uran-Munition alles ganz genau gewußt. "Es gibt kein wirkliches Risiko durch Strahlung", verkündete er noch am Sonntag im ZDF. Zwei Tage später konnte man einen anderen, nun sehr viel vorsichtigeren Scharping erleben: Plutonium im Uran? "Wir wissen es nicht." Und wenn es so wäre, ginge davon eine Gefahr aus? "Wir müssen es prüfen."

Die Erfahrung hätte ihn freilich lehren können, schon vorher vorsichtiger zu agieren. Mit Informationen, die Militärisches betreffen, sind die USA noch nie sonderlich freigiebig umgegangen. Die krasseste Erfahrung dieser Art hatte Scharping im Kosovo-Krieg machen müssen: Die Satellitenfotos des großen Verbündeten vom Kampfgebiet bekamen die NATO-Partner, wenn überhaupt, nur in Auswahl zu sehen. Das brachte den deutschen Minister schon damals in argumentative Not. Den augenfälligen Beweis für Elendstrecks von Vertriebenen und andere Gräueltaten, mit denen Scharping den Krieg daheim rechtfertigte, konnte der Minister nur schwer führen. Die Bundeswehr schickte zwar ihre ferngelenkten Drohnen auf Aufklärungsflüge - doch deren Möglichkeiten waren begrenzt. So wurde Kosovo zum letzten Auslöser für den Entschluss der Europäer, eine eigene Satelliten-Aufklärung aufzubauen.

"So sind Großmächte eben", sagt ein deutscher Offizier. Scharping hat ähnliches gedacht, als er beim US-Geschäftsträger auf die Pauke schlug. Und er steht mit seinem Mißtrauen in die Offenheit der USA nicht alleine da. "Was sollte er denn machen, wenn ihm die Amerikaner nicht alles gesagt haben?" fragt ein Spitzenbeamter des Kanzleramts verständnisvoll.

Drüben in Washington hat die Aktion Verärgerung ausgelöst: "Wir waren in dieser Frage ganz offen", versichert Außenamtssprecher Richard Boucher. Unter der Hand wird kolportiert, die Deutschen seien selbst schuld, wenn in ihrer Regierung die Kommunikation nicht klappe. Auch die Nato reagierte "befremdet": Dass Plutonium in der Uran-Munition sein könne, könne man im Internet nachlesen. Das stimmt und stimmt doch nicht: Ohne ausdrücklichen Wegweiser findet man die fragliche Seite im Netz kaum.

Auch dieses Schwarze-Peter-Spiel hat Tradition. Dahinter steckt nicht einmal in jedem Fall Böswilligkeit. Dass zum Beispiel die US-Unfälle mit Uran-Munition in Deutschland nicht früher bekannt wurden, finden Hardthöhen-Vertreter gar nicht so erstaunlich. Auf die Idee, über Unglücksfälle die deutschen Behörden zu informieren, ist die US-Armee nie gekommen, war sie doch bis zur deutschen Einheit nicht nur Verbündeter, sondern Besatzungsmacht. Hinzu kommt: In Washington versteht man die Aufregung nicht. Die Debatte über Gefahren der Uran-Munition gilt als höchst theoretisch. Dass Scharping hierzulande sogar dann Schwierigkeiten drohen, wenn ohne sein Verschulden Informationen nur scheibchenweise ans Tageslicht kommen, ist für die Amerikaner schwer nachzuvollziehen. Gleichwohl haben sie dem deutschen Minister am Donnerstag einen dicken Dokumentenordner über Uran-Munition geschickt. Die Unfall-Liste lag nicht darin.

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