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Pervers’ Geräusch. Katharina Maria Schubert erzählt als französisches Varietégirl vom Berlin der zwanziger Jahre. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Uraufführung am Deutschen Theater: Wimmelbild mit Combo

Fratzen vom Alex und anderswo: Roger Vontobel bringt am Deutschen Theater Hans Falladas Berlin-Roman "Wolf unter Wölfen" auf die Bühne.

Inflation, galoppierender Werteverlust, Tanz auf dem Berliner Vulkan. Aus Hans Falladas Roman „Wolf unter Wölfen“ über das verrückt spielende Inflationsjahr 1923 finden sich die Bezüge zur Gegenwart wie von allein. Ein gefundenes Fressen für Romanadaptierer unter den Theatermachern. Man braucht die grelle Chose nur auf die Bühne – etwa jene des Deutschen Theaters unter der Regie von Roger Vontobel – zu wuchten. Relevanz ergibt sich von selbst.

Aber wie? Das Monstrum, das Fallada in den wenigen ruhigen Jahren seines bewegten Lebens – als 18-Jähriger erschoss er 1911 in einem missglückten Selbstmordduell einen Freund – in seinem Haus an der Mecklenburgischen Seenplatte schrieb und das 1937 erschien, umfasst 1200 Seiten. Anhand des Schicksals dreier ehemaliger Soldaten erzählt es von Hysterie und Wahnsinn, von den Überlebenskämpfen der Schieber und Straßenhuren, von Schupos und Spielern – in langen naturalistischen Beschreibungen, mit authentischen Zeitungsmeldungen angereichert und vorwärtsgetrieben von einem expressionistischen Impetus. Ein Fratzengemälde, ein Wimmelbild, in dem die Figuren zeitlose Berliner Namen tragen: Zecke, Oberwachtmeister Marofke, Koksnutte vom Alex, Devisenvamp. Als Spiel mit Klischees und den Fantasien der Zuschauer also? Als Inflationsrevue, wie es im Untertitel heißt?

Im Glitzerfummel des Varietés stöckelt Katharina Marie Schubert vor den geschlossenen Vorhang an die Rampe und erklärt mit aufgesetztem französischen Akzent und koketter Verlegenheit von den Umständen der Zeit. Kriegskosten, Reparationsforderungen. Eben hat der Liter Milch noch 1440 Reichsmark gekostet, wenige Monate später schon 360 Milliarden. Sie klimpert mit den Augen, während ein unmissverständliches Stöhnen von der Bühne zu vernehmen ist: „Die machen perverse Geräusche, damit ich endlich auf-öre.“ Ganz Berlin sei damals erfüllt gewesen von „pervers Geräuschen“. Vielsagendes Augenklimpern. Auf unverkrampfte Weise bringt dieser Anfang alles zusammen, die angebliche Verruchtheit der Zwanziger, den Umsturz der Lebensverhältnisse, die Entfesselung der Begierden und niederen Instinkte. Man stellt sich wer weiß was vor.

Als der Vorhang dann aufgeht, sieht und hört man einen überdimensionalen Roulettekessel (Bühne: Claudia Rohner), auf dessen Rand eine Drei-Personen-Combo swingt, dazu ein halbes Dutzend Schauspieler, das drei Stunden lang die Quadratur des Kreises probiert. Einerseits Fratzenziehen, Um-die-Wette-Berlinern und Herumrasen auf dem Rund des Vulkans, um einen Zipfel des Wahnsinns zu erhaschen. Andererseits spielen sie in simplen Szenen die von John von Düffel eingedampfte Geschichte nach.

Doch das Verhältnis zwischen dem Gruppentoben, das der Gesellschaftstotalen im Roman entsprechen soll, und kammerspielartigen Szenen stimmt nicht. Von „pervers Geräusch“ keine Spur, dafür von der Mühe, die es kostet, ein Sittengemälde zu malen und gleichzeitig einen Doppelplot um die Liebe zwischen Wolfgang Pagel und Petra Ledig sowie die gescheiterte Rettung eines brandenburgischen Guts nachzupuzzeln. Ole Lagerpusch als Wolfgang Pagel merkt man das Dilemma am meisten an. Verloren springt er zwischen emotionaler Einfühlung und gelangweilter Ironisierung hin und her, während die anderen ihre Typen wie mit dem Edding konturieren: derb, aber mit klarem Strich. Isabel Schosnig als kaltherzige Hauswirtin Thumann, Matthias Neukirch als Oberleutnant Studmann a. D., der als Empfangschef eines Hotels vergeblich versucht, seine Würde zu bewahren. Peter Jordan als zackige Witzfigur Rittmeister von Prackwitz, der von seinem Gut Neuenlohe nach Berlin gekommen ist und statt der benötigten Arbeiter seine reichlich zerrupften Ex-Kameraden aufs Land zurückbringt.

Bei Fallada wartet auf dem Land zumindest für Pagel die Erkenntnis, dass er Arzt werden will. In der vereinfachten Vontobel-Version nur die übertriebene Pachtforderung eines rachsüchtigen Schwiegervaters, die alle und alles ruiniert.

Wieder am: 28. und 30. 4. und 3. und 4. 5.

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