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Zwei Körper, eine Seele. Charlotte Roche (links) und Carla Juri in Locarno.

© dpa

Uraufführung in Locarno: "Feuchtgebiete": Ist ja gar nicht so eklig

David Wnendt verfilmt Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“ mit Carla Juri in der Hauptrolle. Im schweizerischen Locarno hatte der Streifen Premiere - und durch den Saal ging ein leises Zittern.

Wo auch immer man sich aufhält dieser Tage in Locarno, im Café auf der Piazza, im historischen Ex-Rex, wo die GeorgeCukor-Retrospektive läuft, oder auch im Bus-Shuttle zum FEVI-Auditorium, wo die Wettbewerbsbeiträge gezeigt werden – seit der Premiere am Sonntagabend redet man überall von den „terrains humides“, wie man hier sagt. Von jenem deutschen Film, von dem das Programmheft listig fürsorglich behauptet, er enthalte Szenen, die sensible Besucher verstören könnten.

Tatsächlich, David Wnendts „Feuchtgebiete“, der am 22. August in den deutschen Kinos anläuft, ist nichts für die Zartbesaiteten. Die heftige Polarisierung aber, die der Majestic-Verleih bei der „Welturaufführung“ bemerkt haben will, die gibt es nicht. Schon seit Tagen mühen sich die beauftragten Zirkulationsagenten, mit entsprechender Pressearbeit den Skandal zu schüren. Klar, dass der Verleih sich die „Schockwelle“, die Charlotte Roches Bestseller vor fünf Jahren in Deutschland auslöste, mit einiger Dringlichkeit noch einmal für die Verfilmung wünscht.

Eine Vorführung von „Feuchtgebiete“ ist ein bisschen wie guter Horror

Da möchte man den Film fast gegen seine Verleiher in Schutz nehmen. Denn er ist erstens gar nicht mal schlecht und kam zweitens gut an beim Publikum. Eine Vorführung von „Feuchtgebiete“ ist ein bisschen wie guter Horror: Es gibt nicht viele schlimme Stellen. Aber wenn sie dann kommen, geht ein leises Zittern und Zagen durchs Publikum. Ansonsten wurde viel gelacht (wenn auch oft eher nervös). Und nur wenige verließen den Saal.

Das liegt vor allem an der Hauptdarstellerin. Die Schweizerin Carla Juri trägt den Film souverän – mit ihrer mutigen Darstellung einer jungen Frau, die frei und zwanghaft, herausfordernd und verletzlich, abgebrüht und kindlich, offen und verlogen und noch ein paar andere Dinge zugleich ist. Sogar sexy. Dafür sollte es am Wochenende in Locarno einen der Preise geben.

Auch Regisseur David Wnendt, der bereits mit dem Neonazi-Psychogramm „Die Kriegerin“ beeindruckte, hat das Hauptproblem gut gelöst: Wie zeigt man Ekliges so, dass es gerade noch zeigbar ist – und zugleich: ohne es abzuschwächen? Auf der Pressekonferenz beschwerten sich zwar Journalisten: Das will man doch nicht so genau sehen! Diesen Vorwurf allerdings kann man jeder Literaturverfilmung machen , ob sie nun von Analfissuren handelt oder nicht.

Skandalautorin Charlotte Roche ließ ihrerseits am Lago Maggiore verlauten, sie finde den Film, aus dessen Entstehung sie sich herausgehalten hatte, „unfassbar gut“. Durchaus denkbar aber, dass er sich ungünstig auf die Rezeption ihres Romans auswirkt. Denn er ist reich an visuellen Einfällen – und macht in seiner Verdichtung umso deutlicher, wie bescheiden sich daneben Charlotte Roches Erzählkunst ausnimmt. Und wie dünn die Geschichte bleibt, wenn man sich Körpersäfte und -löcher erst mal wegdenkt. Aber selbst mit Säften und Löchern (und mit Juris Charme und Wnendts Ideen): Auch im Film reicht es höchstens für eine Stunde. Danach wird's zäh.

Vielleicht macht „Feuchtgebiete“ überhaupt erst auf das Buch als Ganzes neugierig. „Hab’ ich mir anders vorgestellt“, sagte eine Frau zu ihrer Begleitung beim Verlassen des Saals. „Aber du hast das Buch doch gelesen?“ – „Nur den Anfang. Und den Schluss. Mir war das zu eklig.“ Den Film hat sie ausgehalten. War dann doch nicht so schwer.

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