zum Hauptinhalt

Kultur: Uraufführung "Nachklang": In Polen wohnt die Emphase

Etwa 50 km südwestlich von Breslau liegt das kleine polnische Dorf Krzyzowa, das unter dem deutschen Namen Kreisau Geschichte schrieb. Denn dort formierte sich ab 1940 der "Kreisauer Kreis" gegen Hitler.

Etwa 50 km südwestlich von Breslau liegt das kleine polnische Dorf Krzyzowa, das unter dem deutschen Namen Kreisau Geschichte schrieb. Denn dort formierte sich ab 1940 der "Kreisauer Kreis" gegen Hitler. Der preussische Feldmarschall von Moltke hatte dort 1867 ein stattliches Landgut erworben. Sein Urgroßneffe Helmuth James von Moltke, der später das Gut übernahm, war Gegner des Mititärs. In geheimen Treffen entwarf man Modelle eines demokratischen Deutschland für die Zeit nach Hitler. 1944 wurden die Mitglieder des Kreisauer Kreises hingerichtet. 1990 entschloss man sich, die inzwischen verfallenden Gebäude zu einer Jugendbegegnungsstätte für europäische Verständigung umzubauen. So entstand ein ebenso großzügiger wie freundlicher Ort: idealer für das Bundesjugendorchester (BJO), um zusammen mit dem Dirigenten Gerd Albrecht das diesjährige Sommerprogramm zu erarbeiten.

Mit Uraufführung von Peter Ruzickas "Nachklang", der 2. Sinfonie von Johannes Brahms und dem 1979/80 geschriebenen Te Deum von Krzysztof Penderecki sollen weitere Schritte auf dem Weg der deutsch-polnischen Verständigung getan werden. Die "Deutsche Stiftung Musikleben", die die Hauptlast der Finanzierung, der Suche von Sponsoren für die Tournee übernommen hatte, stellte den Aufenthalt unter das Motto: "Polen und Deutschland - gemeinsam im Herzen Europas". Die Konzertreise, gemeinsam mit der Europa-Chorakademie unter Joshard Daus und begann mit einem Auftritt in der St. Maria-Magdalena-Kirche in Breslau. Die weiteren Stationen sind Krakau, Warschau, Danzig, Posen, Berlin (am 19. August um 20 Uhr im Konzerthaus am Gendarmenmarkt im Rahmen des Young-Eurpo-Classic-Festivals), Hannover und Frankfurt.

Hauptzweck der drei jährlichen Arbeitsphasen des BJO ist es, dass hochtalentierte junge Musiker (etwa 17 oder 18 Jahre alt) Erfahrungen im Orchesterspiel sammeln. Etwa zwei Wochen nimmt man sich Zeit, um das Programm zunächst in Gruppenproben, dann eine Woche lang mit dem Dirigenten zu erarbeiten. Diese lane Probenzeit macht sich bezahlt. Man kann tiefer in die Musik eindringen, als dies häufig im durchrationalisierten professionellen Musikbetrieb der Fall ist. In glücklichen Fällen entsteht eine lebendige, kreative Auseinandersetzung mit der Musik, eine Atmosphäre begeisterter, kaum zu bremsender Näherung an die Musik. Was hier entsteht, wird einmal dem deutschen Musikleben einen nachhaltigen Schub verleihen. Die öffentliche Hand sollte sich der Verantwortung nicht entziehen, was derzeit leider geschieht. Allzu bequem verlässt man sich von staatlicher Seite auf Sponsoren, die eigentlich hilfreiche Ergänzung bleiben sollten.

Zur musikalischen Arbeit des BJO tritt immer wieder ein kultureller Auftrag. So reiste man nach Israel, nach Theresienstadt, man erinnerte an den Atombombenabwurf in Hiroshima, man gedachte in den USA der Berliner Luftbrücke. Und Polen, das im Zweiten Weltkrieg am meisten zu leiden hatte, verdient den Akt der Erinnerung an die unzähligen Verbrechen (auf der Reise von Breslau nach Krakau besuchte das BJO auch Auschwitz), verbunden mit dem Gedanken nach vorne zu denken, in ganz besonderem Maße. Überall in Polen ist heute der Geist des Aufbruchs zu spüren: in Breslau, das erst in den letzten Jahren wieder Farbe bekam und ehemalige Pracht rekonstruiert, mehr noch vielleicht im beeindruckend schönen, quirlig lebendigen Krakau, das sich derzeit im Aufwind als eine der Kulturstädte Europas 2000 befindet. Überall hinter ließen die Konzerte tiefe Eindrücke. Gerd Albrecht, eigentlich als strenger Orchestererzieher bekannt, ließ das Orchester an relativ langer Leine, was Überschwang beförderte. Ruzicka hatte ein solide vielschichtig gearbeites Werk aus Bruchstücken seiner im nächsten Jahr zur Urauff¸hrung anstehenden Celan-Oper geliefert, Brahms geriet in virtuos orchestralem Grenzgang intensiv und stürmisch und bei dem polnischen Papst gewidmeten Te Deum Pendereckis, der in Krakau zu Hause ist, spürte man, wie eng doch dieses emotional plastische Werk mit dem Bewusstsein und den Empfindungsebenen der polnischen Nation verknüpft ist. Hier ist diese emphatisch illustrierende, nach göttlichem Erbarmen ringende Musik daheim.

Reinhard Schulz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false