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Urheberstreit: Mein Buch gehört mir

Was ist ein Autor, was bedeutet Autorenschaft? Über das das Urheberrecht im Zeitalter grenzenloser Reproduzierbarkeit diskutiert eine Debatte in Frankfurt/Main. Denn: Das Publizieren im Internet kann zwar kaum noch unterbunden werden, aber man kann sich nach wie vor darüber streiten.

Ist ein Autor heute nur noch ein Produzent von Texten, die er in die digitale Unendlichkeit entlassen muss? Aus doppeltem Anlass wird diese Frage derzeit hitzig diskutiert: Da ist die Firma Google, die auch urheberrechtlich geschützte Bücher scannt und in Schnipseln online verfügbar macht. Und da ist eine Allianz von deutschen Wissenschaftsorganisationen, die eine für den Nutzer kostenlose Online-Publikation im Bereich öffentlich finanzierter Forschung („Open Access“) als neue Norm etablieren will. Als der Editionswissenschaftler Roland Reuß im März beide Aspekte im „Heidelberger Appell“ zur Wahrung des Urheberrechts verknüpfte, erhielt er die Unterstützung von namhaften Autoren und Verlegern, wurde aber auch dafür kritisiert, zwei Dinge unzulässig miteinander zu vermengen.

Am Mittwoch luden Reuß und der Frankfurter Klostermann Verlag zu einer Tagung ins dortige Literaturhaus ein, um über „Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit“ zu diskutieren. Reuß selbst macht sich für einen Begriff von Autorschaft stark, der nicht nur einen Eigentumssachverhalt bezeichnet, sondern auch die Essenz geistigen Arbeitens. Zur Kontrolle über das Werk, erklärt er, gehöre entscheidend die Wahl des Publikationsorts. Nun mag es attraktiv erscheinen, wissenschaftliche Texte kostenlos und ohne materiellen Ballast verfügbar zu machen. Der Knackpunkt liegt jedoch in der Freiwilligkeit der Teilnahme an dieser Publikationsform, die Reuß und seine Mitstreiter bezweifeln. Zwar lautet die Losung der Wissenschaftsförderer: Gebt ihr uns nicht das Erstveröffentlichungsrecht, dann bitte mindestens die Zweitauswertung nach einem gewissen Zeitraum. Aber lohnt sich dann die Erstveröffentlichung für Verlage noch?

Schützt das Gesetz nur den Urheber oder auch die Person?

Der Münchner Jurist Volker Rieble erinnert daran, dass das Urheberrecht nicht nur wirtschaftliche Interessen schützt, die für Wissenschaftler eine untergeordnete Rolle spielen, sondern seine Wurzeln in der Vorstellung von der Autonomie der Person hat. Jedem Autor müsse es freistehen, die Verwertung seiner Texte an den Verlag seiner Wahl übertragen zu können. Die Wissenschaftsfreiheit kennt keinen Gemeinnutzenvorbehalt, eine direkte Publikationspflicht sei rechtswidrig. Mit Verve trommelt Rieble für einen „methodischen Individualismus“ beim Urheberrecht.

So mag die Open-Access-Initiative aus Steuerzahlerperspektive einleuchten: Bisher müssen die Ergebnisse staatlich finanzierter Forschung von den Universitätsbibliotheken über das Abonnement teurer Fachorgane einigen wenigen Großverlagen abgekauft werden, also gleichsam noch einmal bezahlt werden. Wenn wirklich, wie der Verleger Matthias Ulmer im Frankfurter Literaturhaus bemerkt, fünf Konzerne mit ihrer monopolartigen Stellung auf naturwissenschaftlich-technischmedizinischem Gebiet das Problem sind, dann solle man nicht über sie klagen, sondern sie verklagen. Was darauf hinausläuft, die unter Preisexplosionen und der Zwangsabnahme von ganzen Abo-Paketen leidenden Bibliotheksetats mit den Mitteln des Kartellrechts zu entlasten.

Dass mit dem Wegfall von Druck- und Distributionskosten das wissenschaftliche Publizieren billiger wird, bestreitet Gunther Nickel vom Deutschen Literaturfonds. Die Kosten für Bereithaltung, Pflege und Gewährleistung der technischen Infrastruktur scheinen immens. Weil aber, so Nickel, die Etats der Bibliotheken in Zukunft kaum steigen, laufe Open Access letztlich auf eine Reglementierung der Literaturversorgung hinaus.

Anne Lipp hat da als Vertreterin der Deutschen Forschungsgemeinschaft keinen leichten Stand. Sie betont, dass die Initiative niemanden zur Teilnahme an den digitalen Gratispublikationen zwingen will. Die Gegenbeispiele ließen aber ahnen, wie sich die sanfte Macht des Faktischen auch ohne expliziten Zwang bemerkbar machen kann: durch Klauseln in Anstellungsverträgen (wie bei der Universität Zürich) oder durch eine Mittelvergabe, die Förderwürdigkeit an Online-Publikationen misst.

Die Perspektive hat sich hin zum Nutzer verschoben

Warum aber wird in der Frankfurter Diskussion die Frage nach der adäquaten Publikationsform für wissenschaftliche Forschung, die nur rund 15 Prozent der deutschen Buchhandelsumsätze ausmacht, als genauso heißes Eisen behandelt wie die Google- Buchsuche? Der Schriftsteller Burkhard Spinnen verweist auf die Piratenpartei, die „erste Partei des losgelassenen Konsumenten“. Es geht also um die Umorientierung von der Perspektive der Urheber und Verwerter auf die der Nutzer. Ein zugleich „hedonistischer und antiindividualistischer Furor“ (Reuß), der scheinbar überschaubare Fragen in einen Kulturkampf ausarten lässt.

Die Erwartung grenzen- und kostenloser Verfügbarkeit von content durch die Generation der digital natives und die Möglichkeit, diese Haltung per Copy & Paste durchzusetzen, bringt das ganze System unter Druck. Der Heidelberger Jurist Burkhard Hess, der die Rechtslage rund um das „Google Booksearch Settlement“ erläutert, macht wenig Hoffnung, dass dem Netzriesen bei seiner Instrumentalisierung amerikanischen Rechts Einhalt zu gebieten sei.

Und die Verleger? Häufig Apokalyptiker und Integrierte in Personalunion, wissen sie, dass sie sich so oder so auf die Verhältnisse einlassen müssen. Hans Dieter Beck (C.H. Beck Verlag) verweist auf die umfangreichen Leistungen, mit denen ein Verlag nicht nur als Verkäufer, sondern auch als Initiator hochwertiger Produkte auftritt. Gleichwohl lautet sein Fazit, dass man je nach Programmbereich wohl mit Google zusammenarbeiten wird. Dabei muss der Verleger differenzieren: So sinnvoll, wie die Vorschau-Schnipsel von Googles Büchersuche im geisteswissenschaftlichen und belletristischen Bereich erscheinen, verbieten sie sich in der juristischen Sparte. Hier würde Google zu viele relevante Inhalte zugänglich machen.

Naivität, eine Haltung des „Lasst die doch erst mal machen“, verbietet sich bei Open Access wie bei Google. Eine Reflexion über Autorschaft und Werk hat ihren Sinn, wenn sie das Bewusstsein auch für subtile Verfremdungen und Enteignungen schärft. Man kann und soll sich streiten über das digitale Publizieren, unterbinden kann man es nicht mehr.

Michael Adrian

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