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Bloß keine Zufälle. Wie weit ist es bis zum Strand? Wann wirft die Steilküste Schatten? Google-Maps, hier über dem kretischen Plakias, lässt keine Frage offen.

© Tsp

Urlaub und Internet: Wer wagt, verliert

Das Internet hat viele Alltagspraktiken verändert, aber kaum eine so tiefgreifend wie die Kulturtechnik des Urlaubmachens. Urlaub ohne Internet? Undenkbar. Doch die perfekte Vor- und Nachbereitung ist eine Illusion.

Ja, wenn jemand eine Reise tut, so kann er was verzählen. Das gilt besonders für die Pauschaltouristen des Dana Beach Resort. Das Hotel im ägyptischen Hurghada ist eine der meistbeschriebenen Unterkünfte der Welt. Mehr als 5500 Gäste haben in den letzten sieben Jahren auf Holidaycheck.de ihre Einschätzungen hinterlassen; die Texte, Bilder und Filme füllen 559 Unterseiten. Zum Glück fasst Urlauber Michael das Wichtigste in drei Sätzen zusammen: „Die Anlage ist sehr groß, sehr schön und vor allem sehr sauber! Es ist wirklich rund um die Uhr jemand was am sauber machen! Das ist wirklich sehr lobenswert.“

Das Internet hat viele Alltagspraktiken verändert, aber kaum eine so tiefgreifend wie die Kulturtechnik des Urlaubmachens. Lange vorbei die Zeit, in der man einfach losfuhr, die Landkarte auf dem Schoß, und nach Picknickplätzen und „Zimmer frei“-Schildern Ausschau hielt. Auch das örtliche Reisebüro ist aus der Mode gekommen. Wie hat man hier noch vor zehn, fünfzehn Jahren Kataloge gewälzt, kleingedruckte Preistabellen studiert und über schwammigen Formulierungen gegrübelt: Was meinen die denn mit „zentrale Lage“? Ja, die Generation 35plus erinnert sich gut: Damals war jede Buchung ein Wagnis, jeder Urlaub ein kleiner Aufbruch ins Unbekannte. „Urlaub ist vorstellungsmäßig mit Ortswechsel verbunden“, schrieb Tourismus- und Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski noch 2002, „Reise aber bedeutet Freiheit und Abenteuer und Risiko und Unsicherheit zugleich; sie versetzt den Urlauber in eine ambivalente, instabile Stimmung.“ Leider schätzt der Mensch das Instabile nicht: „Der ungewohnte Freiraum verunsichert, macht Angst. Der Urlauber braucht Halt und Strukturhilfe.“

Im Internet hat der Urlauber den lang vermissten Halt nun endlich gefunden. Deshalb beginnen Reiseplanungen heute meistens bei einer Suchmaschine, führen über Fotogalerien und Blogeinträge, Wetterprognose-Websites, Echtzeitkameras bis zu Preisvergleichsportalen und Bewertungsforen. Zuletzt noch ein Blick aus der Vogelperspektive: Denn nur Google Earth weiß, wie weit das Ferienhaus wirklich vom Strand weg ist.

Damit all diese komplexen Recherchen nicht spurlos verpuffen, bieten etliche Startups sogar passende Planungssoftware. GoPlanit.com, Travelmuse.com oder Tripline.net heißen einige der Anbieter, es sind Mischformen aus Kalendern, Routenplanern, Reiseführern, Dropboxen, Fotoalben und sozialen Netzwerken. Man kann Flüge und Hotelbuchungen eintragen, Bilder und Kommentare hochladen, Wege vorzeichnen, sich Orte empfehlen lassen. Wer jetzt schon weiß, dass er am 27. August um 14.15 Uhr in Paris in der Nähe der Kirche Saint-Louis-en-l’Île eine Kugel Eis essen will und noch Hinweise auf gute Eisdielen sucht, der ist hier richtig.

Noch sind solche Reiseverwaltungsprogramme kein Massenphänomen, vielleicht werden sie nie eins. Trotzdem illustrieren sie einen Trend: Aus dem unwissenden Urlauber ist ein informierter Konsument, aus dem passiven Gast ein kritischer Chronist geworden. Sogar der Aufenthalt an den Sandstränden und in den Bettenburgen dieser Welt hat nun einen tieferen Sinn: Man ist hier, um Erwartungen abzugleichen. Ist das Meer wirklich so klar, das Büfett wirklich so üppig wie im Netz beschrieben? Sicherheitshalber mach’ ich mal ein paar Fotos. Auch von der Unterseite der Matratze und den Fliesen in der Dusche. Vielleicht interessiert das ja die Gäste, die nach mir kommen.

Stolz vermeldete das amerikanische Bewertungsportal TripAdvisor.com Mitte Juli den fünfzigmillionsten Eintrag. Weltweit 40 Millionen Nutzer besuchen die Website mittlerweile jeden Monat, zu rund 500 000 Hotels und fast 700 000 Restaurants sind Kommentare hinterlegt. Beim deutschsprachigen Konkurrenten Holidaycheck sind die Zahlen in den letzten Jahren ähnlich explodiert: Knapp eine Million registrierte Mitglieder hat die Plattform, fünf Millionen Einträge zu 118 000 Hotels hat die Community bereits verfasst. Man kann das mit neu erwachter digitaler Partizipationslust erklären oder mit jahrzehntelang angestautem Mitteilungsdrang. Aber natürlich spielt auch das Wissen um die eigene Wirksamkeit eine Rolle: Welchem Verfasser schmeichelt es nicht, wenn sein Bericht von einem Millionenpublikum dankbar zur Kenntnis genommen wird – während dem kritisierten Hotelbetreiber vor Angst die Beine schlackern?

Die Interaktion des einzelnen Urlaubers mit dem schwarmintelligenten Netz ist ein Wachstumsmarkt, und längst nicht mehr auf die Zeit vor und nach der Reise beschränkt. Zwar nutzt bislang erst eine Minderheit der Deutschen im Ausland mobiles Internet, trotzdem ist das Angebot an Reise-Apps für Smartphones riesig. Das beginnt bei der praktischen Kompassfunktion, geht über den obligatorischen Währungsrechner, den Tankstellen- und Apotheken-Guide, den eingebauten Reiseführer, Routenplaner und Parkplatz-Finder. Die iPhone-App „World Customs & Cultures“ kennt alle regionalen Gepflogenheiten, besonders in Sachen Rauchen, Trinken, Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die App „Take Me To My Car“ merkt sich den aktuellen Standort des Autos in der fremden Stadt. Die App „WeFi“ weiß, wo das nächste offene Wlan ist. Wofür man deshalb überhaupt eine App wie „Lingopal“ braucht, die die gängigsten Touristenfragen in 44 Sprachen übersetzen kann, ist unklar. Egal, welche unvorhergesehenen Bedürfnisse auftauchen, der Navigator in der Hosentasche weiß immer Rat. Wer sollte sich da noch bei Einheimischen nach Essen, Straßen oder Toiletten erkundigen wollen?

Am Anfang seines Romans „Der Zauberberg“ beschreibt Thomas Mann, wie das Reisen den Reisenden psychisch verändert: „Der Raum, der sich drehend und fliehend zwischen ihn und seine Pflanzstätte wälzt“, löse den Menschen aus seinen Beziehungen und versetze ihn „in einen freien, ursprünglichen Zustand.“ – „Ja, selbst aus dem Pedanten und Pfahlbürger macht er im Handumdrehen etwas wie einen Vagabunden.“ Heute dreht sich der Raum vor allem bei Google Street View, aus seinen Freundschaftsnetzwerken muss sich unterwegs niemand mehr lösen, und auf den Bewertungsportalen sind die Pedanten in der Mehrheit.

Und trotzdem – auf seine Art ist auch der Reisende des 21. Jahrhunderts ein Vagabund, ein Umherschweifender geblieben. Vielleicht weil er immer fürchtet, die digitalen Informationsquellen nicht lange und gründlich genug befragt zu haben. Und nun zum falschen Preis im falschen Flieger zu sitzen. Oder das falsche Eis an der falschen Straßenecke zu essen. Während es nur hundert Meter weiter besser oder billiger gewesen wäre.

Apropos: Selbst Michael, dem mitteilungsbedürftigen Ägypten-Touristen, blieb im blitzsauberen Dana Beach Ressort eine kleinen Enttäuschung nicht erspart: „Der Fernseher war leider alt und teilweise schwarz-weiß, aber ich habe auch von anderen Gästen gehört, dass sie Flatscreens hatten.“

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