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Kultur: Urlaubsglosse: Schon gebucht?

Wir nehmen uns immer mit. Wo es auch hingeht im Urlaub.

Wir nehmen uns immer mit. Wo es auch hingeht im Urlaub. Zum Glück. Wäre auch das noch fraglich, würden wir den Urlaub wahrscheinlich abblasen, weil er uns vor zu schmerzhafte Entscheidungen stellte. Dankbar sind wir auch, dass Partner oder Gatten selbstlos ihre Teilnahme am Urlaub voraussetzen. Es bleiben ja genug Dinge übrig, die alle geklärt sein wollen, etwa die drängende Frage: Welche Bücher reisen mit?

Die Bücherfrage zählt zu den letzten Dingen des Hierseins. Danach ist man ja dort, im Urlaub. Vernünftigerweise stellt man sie "dort" nicht. Die Suche nach Lektüre beim Gemischtwarenhändler in Strand- oder Bergnähe ist nur gefestigten Gemütern zu empfehlen: In den entlegensten Ladenecken vermählen sich Schnorchelreste, Sonnenbrillen oder Postkarten mit angegilbten deutschen Taschenbüchern. Man rätselt über die Abgründe des Sortiments. Hat aber nichts zu lesen.

Umsichtige weichen der Bücherfrage daher nicht aus, auch nicht den vorurlaubtäglichen kleinen Vorhöllen des Zweifels und der Selbstprüfung. Im eigenen Bücherregal ringen die Altlasten um Aufmerksamkeit: die Geburtstagsgeschenke von Tante Annemie und die ungelesenen Schnäppchen, der eben verstorbene Nobelpreisträger und die vor Jahren wärmstens empfohlenen Krimis. Auch der Buchhändler weiß Rat, und so bricht die ganze Welt der Literatur über einen herein. Sie bricht sich dann an der Staumauer auf dem Nachttisch, dem Endlager all der Kandidaten, die spätestens beim ersten Tageslicht als Reisebegleiter nicht in Frage kommen. So gehen Nächte dahin.

Hatte es sich nicht im letzten Jahr als fatal erwiesen, die schönen, ungelesenen Klassikerbände einzupacken? "Nachsommer" im Hochsommer unter Palmen - ein Witz! Zwei Wochen Karibik verschenkt und beim Namen Adalbert Stifter fortan immer die alberne Assoziation von Hoolahoppringen. Also endlich das Buch lesen, das in aller Munde ist? Oder Literatur, die vor Ort entstand? Auf dem sommerlichen Mallorca also George Sands Wintergeschichte? Vielleicht sollte man woanders hinfliegen.

Solche Fragen eines lesenden Urlaubers können die schönsten Wochen des Jahres verschatten. Wenn alles möglich ist, wird alles beliebig: Für das Sachbuch über die Fortschritte der Genforschung bietet sich das Reich des Yeti an, übertroffen nur von der Sommerwohnung mitsamt lieben Verwandten. Fräulein Smilla können wir auch in Feuerland begegnen und Prousts "Recherche" in der finnischen Hütte. Nur Salman Rushdie auf Städtetour in Teheran erhöht wohl die Steinschlaggefahr.

All das führt ziemlich sicher zur Urlaubsreife, wenn auch nicht zu einer Entscheidung. Drängt dann die Zeit, hilft es, sich an Gwendolens Maxime zu erinnern: "Man sollte immer etwas Sensationelles mitnehmen." Gwendolen meinte damit, sagt Oscar Wilde, das eigene Tagebuch.

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