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Kultur: Urschlamm fauler Freuden

Michael Thalheimer eröffnet mit Shakespeare die Saison im DT-Zelt

Alexander Khuon ist als Orsino schon durch die hölzerne Drehtür in das Rund der Theatermanege getreten und hat ein paar selbst berauschte Sätze über die Liebe in die Luft gestoßen, wobei sich seine Charlie-Chaplin-Augenbrauen plötzlich gequält zusammenzogen, denn Olivia, seine Angebetete, will von ihm nichts wissen. Stefan Konarske als Viola hatte auch schon einen Auftritt, stand – noch zitternd vom Schock des gerade überlebten Schiffsunglücks – in der leeren Bühnenlandschaft und fragte: „Was soll denn ich hier in Illyrien?“. Doch eigentlich beginnt dieser Theaterabend erst um 19 Uhr 40. Um 19 Uhr 40 steht nämlich Bernd Stempel als Sir Toby Rülps, der – wie der Name schon vermuten lässt – dem Alkohol zugetan ist, im dämmrigen Licht der Scheinwerfer, guckt verschlagen unter seiner Zottelperücke hervor, sagt etwas und lässt sich – grenzdebiles Lächeln im Gesicht – in den knöcheltiefen Matsch fallen, und zwar so genüsslich, dass der Schmodder bis in die erste Reihe spritzt und die Zuschauer sich in ihren extra ausgelegten Plastikponchos wegducken.

Willkommen in der neuen Spielzeit! Michael Thalheimer inszeniert Shakespeares „Was ihr wollt“ zu Beginn der einjährigen Zwischenintendanz von Oliver Reese, bevor im nächsten Jahr Ulrich Khuon, vom Hamburger Thalia Theater kommend, das Haus übernimmt. Vom Thalia Theater kommt auch das Zelt, das jetzt vor dem Deutschen Theater steht, 28 Meter im Durchmesser misst, knapp fünfhundert Zuschauer fasst und auf dessen kreisrunder Bühne Olaf Altmann etliche Zentner brauner Erde hat verteilen lassen, die durch regelmäßige Nieselbewässerung aus dem Zelthimmel im Laufe des Abends immer saftiger wird – und allerkreatürlichste Suhl- und Wälzimpulse auslöst. Die Liebe ist manchmal eine Schweinerei. Wenn es bloß Liebe wäre.

Thalheimer hat sich nicht lumpen lassen. Wenn man wegen Bauarbeiten im großen Saal für einige Monate in eine provisorische Wanderbühne ziehen muss, dann wenigstens gleich richtig Theater wie früher. Und wie das damals im elisabethanischen Theater zuging, wüst nämlich, beschreibt eindrücklich das Programmheft: „Die Londoner Theater befanden sich auf der rechten Uferseite der Themse, wo auch die Bordelle und Spelunken standen. Derbe und obszöne Späße waren beliebt.“ Und die Frauenrollen wurden von Männern gespielt.

Wie bei Thalheimer, der damit das Verkleidungsspiel des Stücks – Viola verkleidet sich als Mann, in den sich Olivia verliebt – auf die Spitze treibt. Die Krone der Travestie gebührt dabei eindeutig Ingo Hülsmann, der seinen stattlichen Körper mit tatsächlich derber Freude in den klischeehaften Habitus eines Vamps zwängt. Seine Olivia bebt vor Verschlinglust. Wenn sie mit aufgerissenem Mund selbstverliebt ihren eigenen Worten nachlauscht, sieht man regelrecht, wie der Schlund den Raum um sie verschlingt. Ein Satz über Viola/Cesario: „Er steht wie ein Pfahl“ – und sie ist hin und weg.

Bei Shakespeare kommen die Figuren nicht zueinander, weil jeder einen anderen liebt. Bei Thalheimer liebt jeder vor allem nur sich selbst und seine, also Shakespeares Sätze, die in der sehr bodenständigen Übersetzung von Thomas Brasch wie Kostbarkeiten vorgeführt werden. Es gibt Momente von großen Schauspielern: Matthias Bundschuh als langhaariges Kammermädchen Maria, in dessen immer brüchigerer Gouvernantenstimme plötzlich die Bösartigkeit aufblitzt wie eine Messerklinge. Stefan Konorske, der Viola die Zerbrechlichkeit und den starken Willen eines jungen Mädchens gibt. Michael Schweighöfer, dessen bärtiger Narr wie eine Mischung aus Karl Marx und Helge Schneider aussieht. Dass die Inszenierung nicht über eine handwerklich gut gemachte Nummernrevue hinauskommt, liegt an Thalheimers Weigerung, eine Komödie zu geben. Er liefert nur die komödiantischen (und historischen) Zutaten, verweigert aber das Bindemittel, das, was der Geschichte Schwung gäbe, nämlich den versöhnlichen Glauben, dass alles gut wird.

Deshalb bleiben die Schritte schwer: Der Matsch wird nicht zur Ursuppe der Lust, sondern bleibt der kloakige Bodensatz von Schadenfreude und Intrige. Und deshalb sind an diesem Abend auch nicht der Herzog Orsino, Viola und Olivia die Hauptfiguren, sondern Malvolio, Olivias Haushofmeister, der seine Herrin anhimmelt und dank eines gefälschten Briefes hoffen darf, bald an ihrer Seite zu stehen – bis seine hochfahrenden Träume von der bitteren Wirklichkeit zerstört werden. Michael Benthin rennt anfangs, angeekelt von dem Bodendreck, „Iiiihhh“-schreiend durch die Manege, später steht er in fürchterlich gelben Strumpfhosen vor seiner irritierten Herrin und strahlt sie mit schleimigem Grinsen an (hatte sie sich doch im Brief so gewünscht!), um schließlich desillusioniert als letzter trauriger Clown im Regen zu stehen – nach dem die zusammengeführten Paare längst abgezogen sind.

So bitter kann man „Was ihr wollt“ natürlich auch erzählen, Shakespeares beliebteste Komödie überhaupt. Viel Spaß macht das im DT-Zelt aber nicht.

Wieder am 30. und 31. August und am 1., 5., 6., 7., 14., 15., 23., 24. und 25. September.

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