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Kultur: US-Gegenschlag: Kühler Krieg

Es war klar, dass er kommt. Wann er kommt, war unklar.

Es war klar, dass er kommt. Wann er kommt, war unklar. Doch bis zum Ende der vergangenen Woche mehrten sich die Indizien, dass der Militärschlag gegen das Terrornetzwerk um Osama bin Laden und gegen die Infrastruktur der in Afghanistan herrschenden Taliban-Miliz unmittelbar bevorstand. Mit beachtlichem Gespür titelte bereits die "New York Times" in ihrer Sonntag-Ausgabe: "Bush sagt, die Zeit läuft ab". Erwähnt wurde sogar der Wetterbericht, der für die kommenden Tage über Afghanistan klaren Himmel vorausgesagt hatte. Ideales Flug- und Angriffswetter also. Sicher war nur zweierlei: Um alles zu unterlassen, was die Gefühle von Moslems verletzt hätte, durfte der Gegenschlag nicht an einem Freitag, musste aber vor November erfolgen, wenn der islamische Fastenmonat Ramadan beginnt. Zweitens stand der Winter vor der Tür. Für den Einsatz möglicher Bodentruppen wäre das eine zusätzliche Belastung.

Längeres Warten, mehr als dreieinhalb Wochen nach den Anschlägen vom 11. September, hätte außerdem zögerlich gewirkt. Die Beweise, öffentlich vorgelegt vom britischen Premier Tony Blair, waren ausreichend. Selbst Pakistan zeigte sich zufrieden. Die breite diplomatische Koalition, zusammengeschmiedet in erster Linie von US-Außenminister Colin Powell, stand. Selbst Syrien und der Iran sitzen mit im Boot. Der militärische Rückhalt war ebenfalls gegeben. Am Sonnabend war Verteidigungsminister Rumsfeld aus der Region zurückgekehrt und hatte grünes Licht gegeben.

Aufklärung abgeschlossen

Zum ersten Mal operieren nun amerikanische Truppen auch vom Boden einer ehemaligen Sowjetrepublik aus, von Usbekistan. Mindestens drei Flugzeuge landeten am Wochende an der Südgrenze des Landes zu Afghanistan, mit etwa tausend Soldaten an Bord. Das sind Infanteristen der 10. Gebirgsjägerdivision. In Afghanistan selbst schließlich schien die Aufklärungsarbeit von US-Spezialeinheiten so weit abgeschlossen zu sein, dass keine Gefahr mehr für die eigenen Truppen bestand.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Dokumentation: Schröder zum US-Gegenschlag Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Militärschlag gegen das Taliban-Regime US-Präsident George W. Bush und sein britischer Kollege Blair waren am Sonntag sichtlich bemüht, die "Operation dauerhafte Freiheit" als ein gemeinsames Unternehmen darzustellen, an dem amerikanische und britische Soldaten beteiligt sind - unterstützt von Kanada, Deutschland, Australien und Frankreich. Doch das täuscht. Die Vereinigten Staaten waren von Anfang an bemüht, sich die Flexibilität ihrer Handlungen nicht durch ein zu großes Bündnis einschränken zu lassen. Als die Nato erstmals in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall deklarierte, war das Pentagon darüber zunächst gar nicht froh. "Je kleiner die Zahl der unmittelbar beteiligten Regierungen, desto weniger Rücksichten müssen wir in unserer Planung nehmen", hieß es schon frühzeitig im US-Verteidigungsministerium.

Höflich wurden die meisten Angebote deshalb abgelehnt. Höflich zurückgewiesen wurde auch die Bitte von UN-Generalsekretär Kofi Annan, jegliche Militäraktion vom UN-Sicherheitsrat absegnen zu lassen. Auch von diesem Gremium wollte sich Washington nicht abhängig machen. Im Wesentlichen handelt es sich nun um eine amerikanische Operation. Und sie stellt, das haben die Verantwortlichen am Sonntag mehrfach betont, erst den Anfang einer lang anhaltenden Kampagne dar. Und ihre militärische Komponente ist nur ein Teil der umfassenden Offensive gegen den international agierenden Terrorismus. Die anderen sind ökonomische Maßnahmen, humanitäre, diplomatische und politische. Grafik: Angriffsziele in Afghanistan Einzelheiten über diesen lang anhaltenden Kampf wurden am Sonntag nur spärlich mitgeteilt. Das wird in den kommenden Tagen nicht anders sein. Vieles unterliegt der Geheimhaltung. Bush hatte schon vor einer Woche zu Verstehen gegeben, dass es notwendig sein könnte, "selbst Erfolge unserer Kampagne geheim zu halten". Durchgesickert war freilich, dass sich US-Sondereinheiten bereits seit spätestens vergangener Woche in Afghanistan aufhalten. Es soll sich dabei um ein paar Dutzend Mitglieder der "Delta Force" handeln, die in Terrorbekämpfung geschult sind. Ungefähr 500 weitere dieser speziell ausgebildeten Soldaten landen derzeit mit 23 000 anderen US-Soldaten in Ägypten, um dort an einem gemeinsamen großen Manöver mit dem Namen "Bright Star" teilzunehmen. Experten gehen davon aus, dass mögliche künftige Bodentruppen von dort aus eingesetzt werden.

Derzeit befinden sich in der gesamten Region rund 30 000 US-Soldaten. Vier Flugzeugträger sind im Einsatz: die "Carl Vinson" im Persischen Golf, direkt vor der Küste von Katar, an Bord mindestens 6000 Soldaten und 75 Kampfflugzeuge, begleitet von Zerstöreren, Kreuzern und U-Booten, die Marschflugkörper vom Typ "Tomahawk" abschießen können; die "Kitty Hawk" im Indischen Ozean, östlich von Oman; die "Enterprise" liegt im Arabischen Meer, südlich von Pakistan, und hat ebenfalls etwa 6000 Soldaten an Bord; und schließlich die "Theodore Roosevelt", die vom Mittelmeer aus, in der Nähe von Zypern, in den Konflikt eingreifen kann.

Ein langer Kampf

Von großer Bedeutung sind außerdem die Nutzung der "Incirlik Air Base" in der Türkei, die Überflugsgenehmigung durch Pakistan, der britische Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean sowie verschiedene Militär-Stützpunkte in Oman. In dem arabischen Land sind Dutzende von US-Aufklärungsflugzeugen vom Typ Awacs und Tausende von Truppen stationiert worden.

Die Militäroffensive, die jetzt begonnen hat, ist allerdings nur der sichtbare, der spektakuläre Teil des lang anhaltenden Kampfes gegen den Terrorismus, dessen Dauer US-Verteidigungsminister Rumsfeld schon mit dem Kalten Krieg verglichen hat. Entscheidend für den Erfolg werden jedoch die unsichtbaren Teile sein. Dem Netzwerk des Terrorismus kann nur mit einem Netzwerk begegnet werden. "It takes networks to fight networks", sagen die Experten. Der Gegner muss infiltriert, ausgekundschaftet und gejagt werden. Die Konzentration auf einen "Führer", den man ausschalten kann, führt in die Irre. Bush weiß das. Er hat am Sonntag in seiner Rede den Kopf des Netzwerkes "Al Qaida" mit keinem Wort erwähnt.

"Das wird der härteste und ungewöhnlichste Krieg, den wir je geführt haben", sagt Lee H. Hamilton, der langjährige Vorsitzende des Kongress-Ausschusses für Geheimdienste und internationale Beziehungen. "Wir brauchen Agenten am Boden, wir müssen wissen, wo der Gegner schläft, was er plant, wie er denkt." Über den Erfolg der Operation entscheiden deshalb nicht Bomber und Cruise Missiles, sondern Ausdauer und Entschlossenheit. Wann der Gegenschlag kommt, ist seit gestern klar, was er bringt, wird noch lange Zeit unklar bleiben.

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