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Ein Symbol verliert seine Kraft. Die New Yorker Freiheitsstatue.

© AFP

US-Präsident Donald Trump: Der Traum, die Trauer, die Wut

Donald Trumps Einreisestopp für Muslime bedroht die Seele der Vereinigten Staaten. Die identitätsstiftenden Grundfeste des Landes geraten ins Wanken. Eine persönliche Erinnerung.

Es könnte so leicht sein, die Trauer sich in Wut verwandeln, der Schock in Pragmatismus. Es bringt ja auch nichts, kopfschüttelnd dazusitzen, fassungslos um Fassung zu ringen. Aber der Bauch, die Seele, das Herz – sie alle sind stärker noch als der Kopf. Das darf nicht wahr sein: Dieses Grundgefühl begleitet den Strom der Nachrichten aus den USA seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten. Ein schmerzhaftes Unverständnis kommt hinzu. Und wann immer Hoffnung aufkeimt, auf die Opposition, die Demokraten, die Bürgerrechtler, die „checks and balances“, die Trump-Kritiker in den Reihen der Republikaner, so verwelkt der Keimling schon nach kurzer Zeit durch die Meldung vom nächsten Trump-Dekret.

Erinnerungen werden wach an ein anderes Amerika, an die ergreifende Wucht von Szenen, die das eigene Bild von diesem Land geprägt haben. Am 11. September 2001 saß ich an meinem Schreibtisch in einem Appartement in der Nähe vom Dupont Circle in Washington D.C. Es war morgens, ein Dienstag, die Sonne schien. Wenn ich zurückdenke, fallen mir drei Momente ein.

Da war zunächst der Abend, die Dämmerung. Auf den Treppen vor dem Ostflügel des Kapitols versammeln sich Senatoren und Repräsentanten beider Parteien. Immer mehr werden es. Dann fängt einer zu singen an, andere stimmen ein, bald sind es alle. „God bless America“, aus tiefster Tiefe. Kurz danach tritt in New York Bürgermeister Rudy Giuliani vor die Mikrophone und sagt: „Wir haben inzwischen mehr freiwillige Helfer, als wir überhaupt einsetzen können.“

Drei Tage später kommen die Repräsentanten des Staates, amtierende und vorherige, zum nationalen Gedenkgottesdienst in die Kathedrale in Washington D.C. Die Eröffnungsworte spricht ein muslimischer Geistlicher – auf Arabisch. Nach ihm reden ein Priester und ein Rabbiner. Ungefähr sechs Millionen Muslime leben in den USA. Sie sind wohlhabender, gebildeter und kinderreicher als die Durchschnittsfamilie. Ihre Religion können sie ungehindert praktizieren. Es gibt so gut wie keine Debatten über Kopftücher, Beschneidung, das Schächten, Minarett- oder Moscheebauten.

Der Islam sei „eine Religion des Friedens“, sagt Bush

Wiederum zwei Tage später, am Sonntag, besucht Präsident George W. Bush demonstrativ die große Moschee im Islam-Zentrum in Washington D.C. Erst spricht er mit islamischen Geistlichen, dann zieht er seine Schuhe aus und betritt, zwischen Mittags- und Nachmittagsgebet, den Innenraum. Der Islam sei „eine Religion des Friedens“, sagt er. „Das Gesicht des Terrors ist nicht das wahre Gesicht des Islam. Wir kämpfen nicht gegen den Islam.“ Die gesamte Bush-Administration achtet streng darauf, ihren Kampf gegen den Terrorismus von jedem Verdacht einer Islamophobie freizuhalten. Keiner nimmt im Zusammenhang mit dem Terror die Worte „islamisch“ oder „muslimisch“ in den Mund. Jeder weiß um die Ressentiments, gerade deshalb sollen sie nicht geschürt werden.

Knapp drei Jahre später, in New York ist Parteitag der Republikaner. Auftritt Arnold Schwarzenegger, der neue Gouverneur von Kalifornien. Der „Terminator“ wiederbelebt die Ideale des „compassionate conservatism“, des mitfühlenden Konservatismus. Schwarzenegger redet über sich und seine Erfahrung als Einwanderer. Mit 60 Dollar in der Tasche war der junge Österreicher einst in Los Angeles angekommen. „In mir hat sich ein Immigrantentraum erfüllt“, ruft er. Die Delegierten klatschen stehend Beifall. Solche Biographien konstituieren den „American Dream“, über Parteigrenzen hinweg.

Thanksgiving 2004. Das Ritual besteht seit 1621. Damals saßen puritanische Siedler und Wampanaog-Indianer in Plymouth beisammen, um sich und ein gutes Erntejahr zu feiern. Einwanderung, Religion, Offenheit, Toleranz, Gelobtes Land: An Thanksgiving verbinden sich die Ur-Mythen Amerikas. Wegen des Irakkrieges stehen in diesem Jahr jene Soldaten im Mittelpunkt, die eine Einwanderungsgeschichte haben. Da ist etwa José Gutierrez aus Guatemala, der als Junge illegal über die Grenze kam, eingebürgert wurde und aus Dank dafür in die Armee eintrat. Gutierrez war der erste Marine, der im Irak getötet wurde. Oder Eddie Chin aus Burma. Er war es, der in Bagdad geholfen hatte, die Statue von Saddam Hussein zu Fall zu bringen. Oder Ahmad Ibrahim aus Syrien. Der wartet auf einen Einsatz im Irak, weil er hofft, den amerikanischen Soldaten mit seinen Arabischkenntnissen helfen zu können.

Religionsfreiheit und Einwanderung: Das sind, aus amerikanischer Sicht, zwei Seiten derselben Medaille. Die Neue Welt wurde auch deshalb besiedelt, weil Christen der Verfolgung entgehen wollten. Im Februar 2006 fällte das Oberste Verfassungsgericht ein spektakuläres Urteil. Geklagt hatte eine kleine Glaubensgemeinschaft, zu deren Riten es gehört, einen halluzinogenen Tee zu trinken, dessen Wirkstoff allerdings unter das Betäubungsmittelgesetz fällt und daher verboten ist. Was wiegt schwerer – Religionsfreiheit oder Drogenmissbrauch? Einstimmig entschied das Verfassungsgericht, dass der „Religious Freedom Restoration Act“ stärker zu gewichten sei als das Drogenverbot. Seitdem darf der halluzinogene Tee getrunken werden.

In den USA kommt fast jeder von irgendwoher, trägt eine spezielle Geschichte

Chinatown, Little Italy, St.-Patricks-Day, Schuhplattling – in den USA kommt fast jeder von irgendwoher, trägt eine spezielle Geschichte, Kultur und Tradition im Gepäck. Der Stolz darauf, Amerikaner zu sein, verbindet sich mit dem Stolz auf die Herkunft. Rund zwölf Millionen Einwanderer gelangten seit 1890 über Ellis Island nach Amerika, viele von ihnen nach langen Strapazen und einer zum Teil erniedrigenden Prozedur. Ellis Island wurde auch „Träneninsel“ (island of tears) genannt. Das „Ellis Island Immigration Museum“ erinnert an die Schicksale, die „American Immigrant Wall of Honor“ umfasst mehr als 700.000 Namen von Einwanderern, im „American Family Immigration Center“ können die Familiengeschichten rekonstruiert werden.

Das allerheiligste Dokument der Vereinigten Staaten ist die Verfassung. Sie wurde am 17. September 1787 unterzeichnet und in 230 Jahren nur 27 mal durch „amendments“ ergänzt. Der „constitution day“ ist ein Feiertag und heißt auch „citizenship day“, weil an ihm Neubürger in einer feierlichen Zeremonie den Eid auf die Verfassung ablegen. Der Name eines jeden sowie dessen Ursprungsland werden aufgerufen, eine Band spielt „America the Beautiful“. Kitschig? Vielleicht. Aber der Kitsch deutet auf einen inklusiven Patriotismus, der das Gegenteil von Abschottung ist.

Warum der Wandel? Was ist passiert? Die Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Terrorgefahr nicht größer als sonst. Was also treibt die Trumpisten an? Tausend Thesen sind im Umlauf, keine überzeugt. Sicher, es gab schon andere Zeiten, in denen Amerikas Skandale empörten. Guantanamo, Abu Ghraib, Irakkrieg, NSA-Bespitzelung, Drohnenkriege. Die Grenze zu Menschen- und Völkerrecht wurde oft überschritten.

Doch mit Trump ist die Seele des Landes bedroht, dessen identitätsstiftenden Grundfeste geraten ins Wanken. Ein Amerika, das sich einigelt, Religionsgemeinschaften diskriminiert, Toleranz als Naivität verhöhnt und Ressentiments befeuert, verrät den Glauben an sich selbst, trägt seinen eigenen Sarg zu Grabe.

Erinnerungen kollidieren mit der Aktualität

Seit Trump regiert, heißt es deshalb, Abschied nehmen. Nicht ganz vielleicht und nicht für immer. Aber jene romantische Sicht, die stets auch ein Quell für Inspiration und Hoffnung war, trübt sich täglich mehr ein. Erinnerungen kollidieren mit der Aktualität. Wehmut legt sich über den Mut, die Bilder von gestern noch länger wach zu halten.

Die Trauer lähmt. Aber sie kommt mir ehrlicher vor als Empörung und Abscheu. So müssen sich Menschen fühlen, die betrogen wurden, denke ich – und stutze. Ein Land ist kein Mensch, sondern besteht aus Menschen. Und Amerika ist mehr, als Trump je sein kann. Je sein darf. Er mag die Schlagzeilen beherrschen, aber eben jenes Volk, in dessen Namen er so gerne spricht, kann ihm die Macht verweigern, Träume zu zerstören.

Eines der Gründungsdokumente der Vereinigten Staaten, die Unabhängigkeitserklärung von 1776, leitet aus der biblischen Schöpfungsgeschichte das Recht auf Selbstverwirklichung ab – auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Eine Regierung, die dagegen verstößt, darf gestürzt werden. Was in normalen Zeiten radikal klingt, liest sich plötzlich wie eine Verheißung.

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