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© dpa

US-Präsident Obama: Tal der Freudentränen

Obama (1): Der Präsident und Thomas Hills "View of the Yosemite Valley". Die Geschichte eines Bildes.

Beim traditionellen Luncheon in der National Statuary Hall gab es einen stillen Gast. Still, aber nicht stumm: Thomas Hill. Der in England geborene Maler, ein Mitglied der berühmten Hudson River School, schuf 1865 das Panorama „View of the Yosemite Valley“. Mit dieser majestätischen amerikanischen Urlandschaft im Rücken nahm Barack Obama seine erste Präsidentenmahlzeit ein.

Die symbolische Strahlkraft des Kunstwerks, ausgewählt für die Inauguration des ersten schwarzen Präsidenten, könnte größer nicht sein. Das beginnt schon mit seinem Entstehungsjahr. 1865 markiert das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, als die Sklavenhalterstaaten des Südens kapitulierten. Präsident Abraham Lincoln, unter dessen ferner Schirmherrschaft die Amtseinführung Barack Obamas stand, hatte im Jahr zuvor das Yosemite-Areal unter den Schutz der Regierung gestellt; es ist einer der ersten und berühmtesten Nationalparks der Vereinigten Staaten. Eine Landschaft von biblischer Wucht.

Thomas Hills Bild – eine Leihgabe der New York Historical Society – kündet von der unwiderstehlichen Anziehungskraft des Westens. Kathedralen aus Granit, himmelhohe Bäume, the big sky. Eine Hymne auf die vom Vormarsch der Zivilisation bedrohte Natur. Ein Sinnbild auch für die erdrückende Größe der Aufgabe, die Obama an diesem Tag auf seine Schultern lädt.

Von den Indianern, die hier einmal in Frieden lebten, fehlt freilich jede Spur. Der Maler drang immer wieder in die zauberische, unwegsame Sierra Nevada vor, seine monumentalen Gemälde erzielten damals Spitzenpreise. Später tat er sich mit dem Naturforscher und Naturschützer John Muir für eine Alaska-Expedition zusammen. Ein weiterer Fingerzeig: Der neue Präsident hat die Klima- und Energiefrage zur Chefsache erklärt. Und die Politik Amerikas war von Anfang an Geopolitik – geschuldet den Dimensionen des eigenen Kontinents. Auch davon erzählt das Bühnenbild, der backdrop auf dem Kapitol, wo Obama mit 200 Gästen betete und speiste; Meerestiere, Fasan und Ente, dazu, nach den trockenen Bush-Jahren, kalifornischen Wein und Champagner. Die älteste und mächtigste Demokratie der Welt hat sich an diesem 20. Januar 2009 auf die Bedeutung von Ritualen besonnen. Aretha Franklin entbietet den Massen das patriotische „My Country ’Tis of Thee“, Elizabeth Alexander rezitiert ihr Prosagedicht von der Magie der Alltagsarbeit, und Thomas Hills Vision von einem Garten Eden im Westen weitet den Blick auch für Millionen und Milliarden Fernsehzuschauer.

Hills Hauptwerk – es war an diesem Tag nicht zu sehen – hängt im California State Railroad Museum in Sacramento. Es misst fast drei mal vier Meter und hält einen historischen Moment fest: das Zusammentreffen der amerikanischen Eisenbahnlinien auf dem Promontory Summit, Utah, 1869. Union Pazific und Central Pazific vereinigten sich dort zur ersten Transcontintental Railroad. „The Last Spike“, der letzte Nagel, der die Eroberung des nordamerikanischen Kontinents besiegelte, war aus Gold. Die Menschenmenge auf den Schienen, wenn auch lange nicht so gigantisch wie jene an diesem Dienstag auf der National Mall, erinnert an das euphorische Gewimmel von Washington.

Wie sie da stehen und beten, die Köpfe gesenkt, Obama und sein Gefolge, vor dem Naturbild im Goldrahmen, der so dick und mächtig ist wie die Panzerung des neuen Präsidenten-Cadillac, des pechschwarz glänzenden beast. Wie sie einmal innehalten in diesen überwältigenden Stunden – was für ein Kontrast! Das rauschende Schweigen der noch unberührten, aber auch schon idealisierten Natur und die High-Tech-Präzision der Inauguration mit dem Jubel der Millionen Menschen draußen in der Eiseskälte.

„View of the Yosemite Valley“, so heißt es auf einer Regierungs-Website, repräsentiere den Beginn einer neuen Ära. Und zugleich, muss man hinzufügen, die Mühen der Berge und Ebenen. Wiederum stellt sich Obama in die Tradition, auf subtile Art. George W. Bush saß 2005 bei seiner zweiten Amtseinführung ebenfalls vor einem großen amerikanischen Landschaftsbild des 19. Jahrhunderts: Albert Bierstadts „Wind River, Wyoming“. Zweimal großes Kino. Auf Bierstadts Leinwand brennt der Himmel.

Rüdiger Schaper

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