zum Hauptinhalt

US-Tanzkompanie Pilobolus: Der entgrenzte Körper

Mit ihrem märchenhaften Bildertheater aus Körpern und Licht sind Pilobolus seit Jahren in Europa erfolgreich. Jetzt gastiert die US-Tanzkompanie mit „Shadowland“ in Berlin. Ein Werkstattbesuch.

Kaninchen, Adler, Hund – jeder kennt die Schattenfiguren, die sich mit den Händen und einer Taschenlampe formen lassen. Die Tänzer der US-Kompanie Pilobolus tun genau das. Nur benutzen sie für ihre Schattenspiele den ganzen Körper. Dem deutschen Publikum ist die Truppe spätestens seit ihrem Auftritt bei „Wetten, dass ...?“ Ende April bekannt, die Berliner Termine ihrer aktuellen Tour mit dem Stück „Shadowland“ durch Deutschland, Österreich und die Schweiz sind bereits ausverkauft.

Mit ihrem märchenhaften Bildertheater aus Körpern und Licht sind Pilobolus seit Jahren in Europa erfolgreich. Das Schattenmachen auf der Leinwand ist die spektakulärste Kunst der Gruppe. Erst vor fünf Jahren haben sie angefangen, damit zu experimentieren. „Wir haben keinen Vorhang vor unser Spiel gezogen – sondern eine neue Welt enthüllt“, sagt Robby Barnett, der Pilobolus 1971 mitgründete. In den 40 Jahren ihres Bestehens ist die Gruppe – in wechselnder und stetig nachwachsender Besetzung – nach eigenen Angaben in 63 Ländern vor vier Millionen Zuschauern aufgetreten. Heute ist Pilobolus eines der ältesten und bekanntesten Ensembles für modernen Tanz weltweit.

Über die Jahre hat die als Kollektiv organisierte Kompanie einen Stil entwickelt, der von Verrenkungen und Verschränkungen der Tänzerkörper lebt, von gymnastisch anmutenden Gruppentableaus, vom scheinbaren Ausbruch aus der menschlichen Form. Das Schattentheater geht noch weiter: Hier hat der Körper keine Grenzen mehr. Die Tänzer können gemeinsam zu Elefanten werden, zu aufblühenden Blumen, sich in Hunde verwandeln oder in Pick-up-Trucks, können schrumpfen und wachsen, nach Belieben.

Aus Connecticut an die Komische Oper

„Shadowland“, eine 75-Minuten-Show und damit die bisher längste Einzelinszenierung der Truppe, erzählt die Coming-of-Age-Geschichte des Mädchens Molly, gespielt von Molly Gawker. Sie schläft ein und betritt so das „Shadowland“. Eine Zwischenwelt im wahrsten Sinne, in der sie durch Gefahr und Abenteuer der kindlichen Unschuld entwächst. Sie wird in einen Hund verwandelt und wieder zurückverwandelt, von Kannibalenköchen verfolgt und von einem Zentaur umarmt, macht einen romantischen Roadtrip mit einem Cowboy und stürzt kilometertief ins Meer. Für Molly ist der lange Weg zu sich selbst kein einfacher. Und vor allem: kein langweiliger. Traum und Realität vermischen sich, doch die Illusion wird immer wieder gebrochen: Rund die Hälfte des Stücks findet vor der Leinwand statt.

Für die Story von „Shadowland“ haben die kollaborationsfreudigen Piloboli den „Spongebob Schwammkopf“-Autor Steven Banks gewonnen. Die Geschichte ist verspielt und wild, ein bisschen Alice im Wunderland, ein bisschen Cartoon, ein bisschen Hollywood. Gesprochen wird nicht, die Bilder, die Körper sprechen ihre eigene, universelle Sprache.

Für ihre Schattenspiele nutzen die Spieler unterschiedliche Techniken, verschiedene Leinwände, Lampen und Lichter, Rahmen und Requisiten wie Pappmaché-Messer und Gummi-Ananas. Der Abstand zur Lichtquelle bestimmt die Größe des Schattens auf der Leinwand – damit lassen sich viele lustige Effekte erzielen. Monitore neben der Bühne zeigen das Leinwandbild aus Publikumssicht, so können die Performer ihre Positionen jederzeit kontrollieren und korrigieren.

Das Hauptquartier der Gruppe liegt in dem kleinen Ort Washington Depot im US-Bundesstaat Connecticut, ein Städtchen aus weißen Holzhäusern, inmitten bewaldeter Hügel gelegen, zwei Autostunden von New York entfernt. Hier proben Pilobolus seit 40 Jahren in dem alten Gemeindehaus, nur manchmal, wenn mal wieder eine Hochzeitsfeier im Saal stattfindet, müssen sie abbauen.

20 Vollzeitmitglieder hat die Gruppe, dazu 20 freie. Bei „Shadowland“ tanzen vier Frauen und fünf Männer zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, mit unterschiedlichstem professionellem Hintergrund: ein Kung-Fu-Kämpfer und eine Ballerina, eine Fitnesstrainerin und ein Jongleur. Einige sind seit 15 Jahren dabei, andere erst kurz, die Gruppe erneuert sich fortwährend. Pilobolus – so heißt auf lateinisch ein winziger Pilz, der seine Sporen explosionsartig verschießt.

Die erfahrenen Gruppenmitglieder bringen den Neuzugängen die alten Stücke bei, nebenbei unterrichten sie modernen Tanz am ensemble-eigenen „Pilobolus Institute“, neben dem Tourprogramm eine wichtige wirtschaftliche Basis der Truppe. Außerdem lassen sich die Tänzer für Filme, Werbung und Events buchen – auch bei Olympia-Eröffnungen und Oscar-Verleihungs-Zeremonien sind sie schon aufgetreten. Und trotzdem: Zu Hause haben Pilobolus ihr „Shadowland“ noch nicht gespielt. „Auf dem US-Markt wäre das eher schwierig“, sagt Robby Barnett. „Das Interesse in Europa ist größer.“

„Shadowland“, 20. - 31. Juli, Komische Oper. Die Vorstellungen sind ausverkauft, ein weiteres Gastspiel folgt im Juli 2012.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false