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Kultur: US-Wahl: First Lady

Auf Manhattans Upper East Side, so wird zwischen Hudson und East River gespottet, wohnen die reichen New Yorker ohne Bücher. Sie sitzen am Wahlabend vor dem Fernseher und verfolgen die Senatswahl sowie das spannendste Rennen um die amerikanische Präsidentschaft, das es je gegeben hat - Reality-TV in Bestform.

Auf Manhattans Upper East Side, so wird zwischen Hudson und East River gespottet, wohnen die reichen New Yorker ohne Bücher. Sie sitzen am Wahlabend vor dem Fernseher und verfolgen die Senatswahl sowie das spannendste Rennen um die amerikanische Präsidentschaft, das es je gegeben hat - Reality-TV in Bestform. Auf der anderen Seite des Central Park, heißt es, wohnen die wohlhabenden New Yorker mit Büchern. Sie sitzen am Wahlabend beispielsweise im kleinen Triad Theater an der 72nd Street, um einer Aufführung der Kurt-Weill-Revue "Berlin to Broadway" beizuwohnen. Um 21 Uhr 15 ist Pause; die Wahllokale haben seit einer Viertelstunde geschlossen. Eine Theatermitarbeiterin tritt auf die Bühne und teilt dem gespannt lauschenden Publikum mit: "Der Fernsehsender ABC hat soeben Hillary Clinton zur voraussichtlichen Siegerin erklärt." Der Jubel ist groß, und die ältere Frau, die sich kurz vorher bei der Platzanweiserin nach dem Ausgang der Wahlen erkundigt hat, freut sich. Spannung liegt in der Luft: Heute Nacht wird Geschichte gemacht. Während das Rennen um die Präsidentschaft noch völlig offen ist, hat Hillary Clinton es geschafft: Sie ist nicht nur die erste First Lady, die selber in ein politisches Amt gewählt wird, sondern auch die erste Frau auf einem Senatorensitz im Bundesstaat New York.

Um 22 Uhr 40 tritt Rick Lazio, ihr gescheiterter republikanischer Gegenkandidat, vor die Kameras und erklärt seine Niederlage. Er fühle sich wie das Baseballteam der Mets, das gerade gegen die Heimrivalen der Yankees die Meisterschaft verloren hat: "Wir wurden Zweite", sagt er. Er habe gerade Hillary Clinton angerufen, um ihr zu gratulieren. Diese wartet nicht ab, bis Lazio mit seiner Rede fertig ist, sondern betritt rechtzeitig zum Beginn der 23-Uhr-Nachrichten das Podium, um sich bei ihren begeisterten Anhängern für eine weitaus klarere Wahlentscheidung zu bedanken, als sie es selber erwartet hätte: 55 Prozent der Stimmen hat sie erhalten; Lazio nur 43. Es war das teuerste Rennen um einen Senatorensitz, das es je gab: nahezu 100 Millionen Dollar haben die beiden Kontrahenten in ihre Kampagnen investiert.

"Danke, New York", ruft Hillary ihren jubelnden Anhängern im Grand Hyatt Hotel in Midtown Manhattan zu, während sich Bill Clinton, der hinter ihr steht, verstohlen eine Freudenträne aus dem Augenwinkel wischt. "62 Wahlbezirke, 16 Monate, drei Fernsehdebatten, zwei Gegner und sechs Hosenanzüge nach Beginn des Wahlkampfs haben wir es Ihnen zu verdanken, dass wir hier sind," sagt sie und fährt fort: "Ich verspreche, dass ich meine Hände über Parteigrenzen hinweg ausstrecken werde, um allen New Yorker Familien Fortschritt zu bringen. Heute haben wir als Demokraten und Republikaner gewählt", sagt sie. "Morgen fangen wir neu an als New Yorker."

Es wird erwartet, dass Hillary Clinton in ihrer Arbeit einen Schwerpunkt auf Familienfragen und das Gesundheitswesen legen wird. Ken Duberstein, früherer Stabschef von Ronald Reagan, erklärt, Clintons größte Aufgabe werde es sein, Konsens zu bilden. Im republikanischen Lager wird jedoch konzediert, man gehe von einer fruchtbaren Zusammenarbeit im Kongress aus.

Hillary Clinton ist gelungen, was vor 16 Monaten, als sie ihre Kampagne aufnahm, noch unwahrscheinlich erschien: das Image des "Carpetbagger" abzuschütteln: Immer wieder wurde ihr der Vorwurf gemacht, dass sie nicht aus dem Staat New York sei und als "Fremde" keinen Anspruch auf einen Senatssitz erheben sollte. Während sie in New York City seit Anbeginn eine starke Anhängerschaft hatte, musste sie in den nördlichen Gebieten des Bundesstaates um jede Stimme kämpfen. Rick Lazio konnte sich letztlich auch hier nicht gegen sie durchsetzen, und schon am Morgen des Wahltages, als alles noch offen war, benannte Libby Pataki, die Frau des Gouverneurs von New York, im Lokalradio der Hauptstadt Albany einen Schuldigen für die mögliche Niederlage: New Yorks Bürgermeister Rudy Giuliani. Er war erst im Mai aus dem Rennen ausgeschieden, nachdem seine Krebserkrankung und Eheprobleme publik wurden, und gab seinem Nachfolger, so klagt das republikanische Lager, zu wenig Zeit, um im Kampf gegen die "Celebrity"-Kandidatin bestehen zu können.

"Wir kämpften gegen den Präsidenten"

Michael Long, Chairman der Republikaner im Staat New York, sagte, "Wir haben alles getan, was wir konnten. Wir haben nicht nur gegen Hillary Clinton, sondern auch gegen das Weiße Haus gekämpft." Wir haben, so schloss er, "gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten gekämpft". Und tatsächlich: während New York seine neue Senatorin noch feiert, wird bereits darüber spekuliert, welchen weiteren Verlauf Hillary Clintons Karriere nach der sechsjährigen Amtszeit im Kongress noch nehmen wird. Einer Siegerin, die als Erstes verspricht, über Parteigrenzen hinweg den New Yorker Familien Fortschritt zu bringen, traut man zu, in vier Jahren für alle amerikanischen Familien sprechen zu können. Viele sehen in ihr schon jetzt den ersten weiblichen Präsidenten der USA. Bill Clinton sollte langsam beginnen, das Plätzchenbacken zu lernen.

Susanne Ostwald

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