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Kultur: US-Wahlkampf: Väter und Söhne

Nordkorea, Marokko, Jordanien und Syrien: Diese Staaten haben gerade einen alten Herrscher durch einen neuen ersetzt, indem der Sohn dem Vater folgte. Eine Ehrengalerie demokratischer Regime ist das nicht.

Nordkorea, Marokko, Jordanien und Syrien: Diese Staaten haben gerade einen alten Herrscher durch einen neuen ersetzt, indem der Sohn dem Vater folgte. Eine Ehrengalerie demokratischer Regime ist das nicht. Hier werden sich am Dienstag die USA einreihen.

Egal, wer am 7. November zum Nachfolger Bill Clintons gewählt wird: Der Sieger kommt aus prominentem Hause. George W. Bush ist der Sohn von George Bush, der von 1989 bis 1993 im Weißen Haus regierte. Al Gores Vater war zwar nicht Präsident, sondern nur Senator aus Tennessee, aber von den Möglichkeiten seines Filius so überzeugt, dass er schon dem Dreijährigen den Einzug an der Pennsylvania Avenue voraussagte. Bush und Gore sind Ziehkinder der politischen Elite: Geld und Beziehungen waren gegeben. Dies mag den Mangel an Ecken und Kanten im Profil beider erklären, der diesen Präsidentschaftswahlkampf so schlaff hat aussehen lassen.

Bill Clinton, ein Aufsteiger-Typ wie Gerhard Schröder oder einstmals Uwe Barschel, konnte da mehr Emotionen wecken. Es sind Figuren wie Clinton, die die Demokratie als überzeugende Leitkultur braucht. Die Durchlässigkeit sozialer Strukturen lässt sich nicht besser belegen als am Beispiel eines Regierungschefs, der in Armut und in Unkenntnis des eigenen Vaters aufwuchs. Doch woher kommt die seltsame Neigung Amerikas, das Aufsteiger-Unikat durch ein Establishment-Serienprodukt zu ersetzen?

Der Zufall jedenfalls kann es nicht sein, der aus gut 270 Millionen Amerikanern ausgerechnet Bush und Gore als die Besten auswählt, zwei Männer, die auch noch die Vornamen ihrer Väter tragen. Solcher Nepotismus beschränkt sich nicht auf die beiden Spitzenkandidaten. Fünf Kennedys durften beim Parteitag der Demokraten Reden halten. Hillary will Senatorin in New York werden. Drei Witwen sitzen im US-Repräsentantenhaus, nachdem sie erst ihren verunglückten Männern gefolgt und dann in Wahlen bestätigt wurden.

Der Mitleidseffekt unterstreicht drastisch, dass Namen und Bekanntheit heute in der US-Politik Kapital sind, das durch nichts zu ersetzen ist. Der jüngste Abgeordnete im Repräsentantenhaus, der 1970 geborene Harold Ford, vertritt den Wahlbezirk in Memphis, den sein gleichnamiger Vater zuvor 22 Jahre lang repräsentiert hatte. Wäre John F. Kennedy Jr. 1998 nicht ins Meer gestützt, hätte auch er eine aussichtsreiche Bewerbung für die Präsidentschaftskandidatur sicher gehabt.

Bei den Parteitagen beider Groß-Parteien wurden die wichtigsten Reden von den Frauen und Töchtern der Kandidaten gehalten. Die Lust an den Dynastien ist etwas, das die Amerikaner in diesen verwirrenden Globalisierungs-, Multikulturalismus- und Zuwanderungszeiten festhält. Weil Millionen es bereuen, im November 1992 George Bush vor die Tür gesetzt und Clinton hereingeholt zu haben, wird Sohn W. nun die Wiedergutmachung einstreichen. So, wie der Gouverneur von Texas die Verbannung seines Papas ungeschehen machen möchte, so kämpft Al Gore, um die Niederlage seines Vaters im Senatswahlkampf 1970 auszumerzen. Selbst ideologisch treffen die Alten im Wahlkampf der Nachgeborenen aufeinander: Bush kopiert den "Konservatismus mit Herz" seines Großvaters, Senator Prescott Bush, und Gore ist mit seinem Südstaaten-Populismus ganz Al Senior.

Als Kennedy 1961 vereidigt wurde, feierte er den Aufstieg seiner Familie in die amerikanische Polit-Oligarchie, indem er seinen kleinen Bruder zum Justizminister kürte. Mit Reagan und Clinton haben die USA nach Kennedy zwei effektive Präsidenten gehabt, die den Homo Faber, den "selfmade man", verkörpern. "Selfmade" ist an Bush und Gore herzlich wenig. Deshalb zuckt das Land mit den Schultern. Deshalb auch ist die Kritik am System, die Kritik an der Art und Weise, wie politische Karrieren nur durch den Zugang zu Millionenspendern ermöglicht werden, so laut wie noch nie.

Großbritannien, für die USA noch immer der wichtigste Vergleichsmaßstab in Sachen politische Kultur, hat zwar eine Monarchie und ein Oberhaus. Doch einen Premier, dessen Ahnherr auch Premier war, gab es noch nie. Amerika, dem der König fehlt, oszilliert hin und her zwischen der Familiensaga à la Camelot, von der in der Verfassung nichts steht, und den Machttypen aus dem Urgrund. Somit ist klar: Amerika wählt zwischen zwei Versionen eines retardierenden Moments. Am Dienstag wird Nachschlag serviert. Beruhigung, nicht Risiko.

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