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Durchgeknallt. Ein Konterfei des Kandidaten schmückt einen ausgehöhlten, innen beleuchteten Kürbis – gesehen in Los Angeles.

© AFP

US-Westküste vor der Wahl: Warum wählen die Menschen Trump?

Faszination, Ablehnung und Ekel ihm gegenüber gehen Hand in Hand. Trotzdem stimmen viele für ihn. Eine Erkundungsreise, durch Land und Geist, von Carmel Beach bis zur Road to Nirvana.

Eine Laune der Natur hat das kalifornische Küstenstädtchen Pacific Grove zu einem der Winterquartiere des amerikanischen Monarchen gemacht, eines orangefarbenen, bei den Männchen eher weißen Wanderfalters mit schwarzer Zeichnung, der sich im Herbst zu Zigtausenden an die Blätter der Eukalyptusbäume und Nadeln der Monterey-Pinien hängt, um Schutz vor der Kälte zu finden. Das Männchen ist berüchtigt für die rüde Art, in der es das Weibchen zwecks Begattung einfängt und auf die Erde drückt. Eine Forscherin nannte es „das beste Beispiel der Natur für das männliche chauvinistische Schwein“.

Die rüde Art eines anderen Chauvinisten beschäftigt die Gemüter Amerikas derzeit so unaufhörlich, dass sich auch die heldenhafte Amy Goodman, Moderatorin von „Democracy Now!“, dem Treiben des Trump zuwenden muss. Der TV-Sender wird von Organisationen und privaten Spendern finanziert, die die Redaktion ohne jede Einflussnahme gewähren lassen. Die Sympathien der Moderatorin gelten dem Kampf der Standing Rock Sioux von South Dakota gegen das Milliardenprojekt einer Pipeline, deren Bau ihre heiligen Stätten aufreißen und ihr Trinkwasser gefährden wird. In friedlichem Protest stellen sich diese Nachkommen der von weißen Eroberern über Jahrhunderte geschändeten Ureinwohner Amerikas den Baumaschinen in den Weg.

"Hüte dich, den Namen Trump zu erwähnen"

Die Betreiber setzen Sicherheitspersonal mit scharfen Hunden gegen sie ein. Einige der Hunde wurden von der Leine gelassen. Amy Goodman zeigte das Bild eines Hundes, von dessen Lefzen Menschenblut tropfte – und wurde prompt wegen Aufruhrs angezeigt und vor Gericht gestellt. Die Pipeline soll das Öl transportieren, das in North Dakota durch Fracking gewonnen wird. Der Kandidat Trump hat in das Projekt Geld investiert. Das Reden über die Klimakatastrophe hält er für eine Fopperei der Chinesen. Das Gericht sprach die Moderatorin frei.

Was ich über diesen Chauvinisten Tag für Tag höre, lässt den Wunsch aufkommen, einen der Verblendeten, die sich von keiner seiner Entgleisungen abstoßen lassen, „im Fleisch zu erleben“. Meine Freunde sorgen dafür, dass wir von einer seiner Anhängerinnen zum Dinner in deren Haus in Carmel eingeladen werden. Als Gastgeschenk bringen wir die Schokotorte eines elsässischen Konditors mit. „Wenn du ein Stück davon abkriegen willst, solltest du dich hüten, den Namen Trump zu erwähnen“, sagen die Freunde, bevor wir an die Tür klopfen.

Emily ist die Tochter eines Mexikaners und einer Holländerin, deren Vater ein deutsches Konzentrationslager überlebt hat. Auf die Frage, ob er Jude war, verweigert sie die Antwort. Sie leidet darunter, dass sie die braune Haut und die schwarzen Haare des Vaters geerbt hat. Die jüngere Schwester ist blond und weiß. Als die Eltern sich trennten, gab die Mutter das braune Kind dem Mexikaner mit und behielt das weiße. Der Vater überließ die Tochter sich selbst. Der gelang es, sich zur Heilerin ausbilden zu lassen. Mit Nadeln und Kräutern erlöst sie die Schönen und Reichen der Gegend von deren wahren und eingebildeten Leiden.

Makel der Herkunft kaschieren

Ich möchte sie fragen, was eine junge Frau wie sie dazu bewegen kann, auf einen Menschen wie Trump zu setzen, der das andere Geschlecht und die anderen Hautfarben niedermachen muss, um sich selbst aufzublasen. Verhilft ihr dessen Versprechen, die weiße Anmaßung aufzuwerten, zu einer Identität, mit der sie übermalen kann, was sie für den Makel ihrer Herkunft hält? Hat die Verstoßung durch die weiße Mutter sie so traumatisiert, dass sie nicht akzeptieren kann, was sie im Spiegel sieht?

Während der Vorspeise erzähle ich, dass ich vor Jahren in New York in die Feiern zum Independence Day geraten bin und dabei bestaunte, wie die Menschen in allen Paarungen, die Rasse, Hautfarbe, Alter, Geschlecht erlauben, mit ihren Kindern zum Feuerwerk auf dem East River strömten. „Ich hatte den Eindruck, in dieser Stadt wird Tag für Tag die Befürchtung widerlegt, dass der Turmbau von Babel, der sämtliche Rassen zum gemeinsamen Tun vereint, nur in die Katastrophe führen kann.“

Mishra erinnert mich daran, dass der Gott der Bibel die Sprachen der Bauleute verwirrt hat, weil er verhindern wollte, dass sie sich ihm gleich wähnen, wenn ihnen das Werk gelingt. Ein paar Abende davor hatte der Kandidat Trump vor einem der Fenster des Turms gesessen, der seinen Namen trägt, und entschuldigte sich vor einer Kamera für seinen rüden Umgang mit Frauen. „Wenn du dir vorstellst, wie er von seinem Turm aus auf den Rest der Welt herabschaut, siehst du ein Sinnbild unserer Epoche“, halte ich Mishra entgegen. „In einer Welt ohne Gott erliegt das amerikanische Super-Ego dem Wahn, dazu bestimmt zu sein, dem Chaos ein Ende zu machen, das Gott mit seiner Schöpfung angerichtet hat.“ Mishra tritt mir unterm Tisch gegen das Schienbein, und ich schaue durchs Fenster ins Offene. Aus dem Lichtrand, den die untergegangene Sonne auf dem Ozean hinterlassen hat, steigen die Chemtrails von Flugzeugen auf. Wie die Finger einer gespreizten Hand streben sie auseinander und durchziehen das dunkle Blau des Himmels mit Streifen von glühendem Rot. In das Bild ragen die Silhouetten der gekrümmten Stämme uralter Pinien.

Kronzeugen der Verblendung

„Dieser Wahlkampf zerstört den Traum von einem Amerika, das den Fluch des Identitären transzendieren kann“, werfe ich in die Stille hinein. „Aus dem Albtraum von Berechnung, Korruption, Niedertracht und Verleumdung, in den sich das Land verwandelt, tritt eine einzige Figur hervor, die noch Hoffnung verkörpert: Michelle Obama. Als Nachfahrin schwarzer Sklavinnen erinnert sie in einer Sprache des Herzens an den Schmerz, als schwarze Frau einer der Minderheiten anzugehören, die den Weißen seit Jahrhunderten als Trittbrett für deren angemaßte Erhabenheit dienen.“

Unsere Gastgeberin legt Messer und Gabel zur Seite und greift nach dem Ipad. Wir schieben die Teller und Stühle zusammen, und während das Essen kalt wird, hören wir uns auf Youtube an, was die vom Hass getriebenen Kronzeugen ihrer Verblendung über den Zustand des Landes sagen. Die Frau des schwarzen Präsidenten halten sie für eine Närrin, die sich dazu missbrauchen lässt, die Wiedergeburt des weißen Amerika zu hintertreiben. Die Argumente führen vom Hundertsten ins Tausendste. Es sind krasse, auch krass antisemitische Thesen darunter. In ihren Worten versinkt das Land in einem Dunkel, aus dem nur der Mann aus dem Tower herausführen kann.

Trump ist wie eine Droge

Bei der Wahl vom 8. November können die Wähler einiger Bundesstaaten auch abstimmen, ob der Erwerb von Marihuana zum privaten Gebrauch straffrei gestellt werden soll. Den Erwerb aus medizinischen Gründen hat Kalifornien bereits vor 20 Jahren legalisiert. Wer sich das Marihuana von einem Arzt als Heilmittel verschreiben lässt, kann sich den Cannabis-Mann ins Haus bestellen wie einen Pizzaboten. Er bietet das grüne Gras pur an, aber auch in der Vermischung mit Schokolade, Keksen, Brownies oder Ölen, Cremes und Lotionen.

Mishra hat den Kampf um die Legalisierung der Wunderpflanze als Professor für Public Health aktiv begleitet. Er kennt die Statistiken, die von deren Anhängern und Gegnern ins Feld geführt werden. Meinem Einwand, dass sie dazu verführt, dem Elend der Welt den Rücken zu kehren, begegnet er mit dem Hinweis auf den millionenfachen Gebrauch von Antidepressiva. „Ist Trump eine Droge?“, frage ich ihn. „Eine Droge, die sie im Stich lassen wird, wenn sie sie brauchen, weil er sich nur für sich selbst interessiert“, sagt er. „Und Marihuana?“ – „Die Antidepressiva betäuben den Schmerz“, sagt er. „Marihuana kann den Geplagten bewusst machen, was der Dalai Lama im Sinn hat, wenn er von einer Religion der loving kindness spricht.“

Ich probiere aus, was der Cannabis-Mann ins Haus gebracht hat und werde beim Gang zum Meer überwältigt von der Erfahrung, dass die Farben der Pflanzen, an denen ich zwei Monate lang nur vorbeigegangen bin, wie von innen her glühend zu leuchten beginnen. Am Strand tritt das Klackern der rollenden Steine, die von den anbrandenden Wellen über den Sand getrieben werden, wie ein Gesang aus dem ewigen Rauschen des Wassers hervor, und das Lichtspiel, das die untergehende Sonne auf Himmel und Nebeldunst aufführt, erinnert daran, dass alles von Menschen gemachte Schöne dem Wunsch entspringt, dem gleich zu werden, der das unfassbar Schöne geschaffen hat.

Was ist vom Traum geblieben?

Die Küstenstraße von Pacific Grove nach Monterey führt durch die Straße der Ölsardinen, die John Steinbeck in seinem Roman „Cannery Row“ verherrlicht hat. Die Hallen, in denen die Fische eingedost wurden, säumen noch immer die Straße. Im Innern mit Boutiquen, Ramschläden und Cafés verkauft auch der nepalesische Maler Bratap Lama die Thangkas, die er mit den Göttern der buddhistischen Religion bemalt. Gerade hat er die Preise herabgesetzt, und die Freunde raten mir, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Die bunten Götter, die auf den Bildern des malenden Mönchs zu sehen sind, bedeuten mir nichts. Eine Darstellung des Wegs ins Nirwana, der schwarze Elefanten durch alle Stadien der Erleuchtung führt, bis sie ins Weiße verwandelt sind, zieht meinen Blick aber an. Müsste es nicht umgekehrt sein?, möchte ich den Maler aus Nepal fragen. Denn was ist uns von Anspruch und Traum der weißen Monarchen geblieben?

Michael Eberth lebt als Dramaturg und Publizist in Berlin. Zuletzt erschien von ihm 2015 „Einheit. Berliner Theatertagebücher 1991 – 1996“ (Alexander Verlag).

Michael Eberth

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