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Kultur: USA: Gefräßige Erdölmonster und feige Geldgeber

Amerika sei der ideale Sündenbock, mutmaßte einmal Ludwig Marcuse. Um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ranken sich in unseren Breiten noch immer die zählebigsten Klischees.

Amerika sei der ideale Sündenbock, mutmaßte einmal Ludwig Marcuse. Um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ranken sich in unseren Breiten noch immer die zählebigsten Klischees. Aber auch die Deutschlandbilder der Amerikaner kommen nicht ohne tiefsitzende Ressentiments aus. Den Beweis hierfür liefert die Studie des jungen "Welt"-Redakteurs Wulf Schmiese, der etwa 5000 Exemplare führender deutscher und amerikanischer Tageszeitungen aus der Zeit zwischen Mauerfall 1989 und dem Golfkrieg 1991 ausgewertet hat.

Die diplomatische Jahrhundertleistung der USA, den Weg für die deutsche Vereinigung, auch den misstrauischen europäischen Nachbarn gegenüber, geebnet zu haben, sei weitgehend "ungewürdigt" geblie-ben, während die US-Presse das zaghafte Verhalten des gerade neu vereinigten Deutschland im Golfkrieg Anfang Januar 1991 als ziemlich "undankbar" empfunden habe. Der militärische Konflikt am Golf gegen Saddam Hussein wurde als Prüfstein für die europäisch-amerikanischen Beziehungen und die Etablierung einer neuen Weltordnung angesehen. Doch Deutschland sollte das Angebot von Präsident Bush aus seiner Mainzer Rede vom Frühjahr 1989, "partner in leadership" zu sein, nicht annehmen. Es leistete nicht viel mehr, als jene viel kritisierte "Scheckbuch-Diplomatie".

Die wechselseitigen Vorbehalte reichen jedoch weiter zurück als die ereignisreiche Bush-Präsidentschaft gedauert hat. Nach Schmiese stammen die typischen deutschen Amerikabilder aus der Epoche der Roman-tik, da Amerika als kulturloser Hort der Geldgier galt und Nikolaus Lenau Klage über das "Land ohne Nachtigallen" führte. Während zunächst die Linksliberalen die USA als "fortschrittlichstes Land der Welt" entdeckten, blieb es auf Seiten der konservativen und nationalliberalen Deutschen bei den bekannten Stereotypen von der "Dominanz des Ökonomischen", der materialistischen "Dollarjagd" in einem "Land ohne Geschichte, ohne Kunst und Kultur".

Am Verhandlungstisch eingeknickt

Der "Vorwärts" titelte 1919 nach Präsident Wilsons Einknicken am Versailler Verhandlungstisch: "Sie haben uns verraten." Clara Zetkin wehrte sich dagegen, "dass Deutschland in eine Kolonie der Vereinigten Staaten verwandelt wird". In der Nazizeit werden die USA als "Sinnbild der feigen und schwächlichen Demokratie" und "der Herrschaft des Judentums" gebrandmarkt.

Die Luftbrücke der USA in den Nachkriegsjahren lieferte einen entscheidenden Baustein bei der Gründung der Bundesrepublik. Doch noch jeder Kanzler hatte seine Probleme mit dem amerikanischen Präsidenten, ob der alte Adenauer mit dem jungen Kennedy während des Baus der Berliner Mauer, Willy Brandt mit Nixons Außenminister Kissinger wegen der Ostpolitik. Nicht zu reden von der chronischen Störung zwischen Helmut Schmidt und Jimmy Carter wegen der Neutronenbombe. Ebenso zeigt Schmieses Studie, wie auch das staatsmännische Profil des ansonsten so zuverlässigen Partners Helmut Kohl wegen dessen Verzögerungstaktik in Sachen polnischer Westgrenze in Misskredit geriet.

Als gängige Amerikabilder der deutschen Presse während des Golfkriegs filtert der Autor den "Materialismus", "Imperialismus", die "Heuchelei" und die "Passivität" der USA heraus. In der "Frankfurter Rund-schau" zum Beispiel geraten die USA in die Rolle eines "gefräßigen Erdölmonsters", das am Öl hänge wie Heroinsüchtige an der Nadel. Andere bemühen das bekannte Klischee vom Kriegsgewinnler. Die Supermacht fülle mit dem Einsatz am Golf ihre leichtfertig geleerte Haushaltskasse. Weshalb Rudolf Augstein im "Spiegel" erklärte: "Das ist nicht unser Krieg", und Theo Sommer in der "Zeit" zweifelt: "Wie soll schon eine Nation Weltpolizist spielen, die den Sheriff nicht aus der eigenen Tasche bezahlen kann."

Nur wenige sehen den Golfkrieg als alliierten Einsatz für Freiheit und Demokratie. Im Gegenteil, die Suche nach einer neuen Weltordnung jenseits der alten Bipolarität wird gern als imperialistisches Muster des Weltpolizistentums abgetan, denn - so die Wochenzeitung "Zeit": "Es gibt mehr Unordnung auf Erden, als eine einzige Macht zu beseitigen vermöchte."

Rasch ist auch von Heuchelei die Rede, wird doch der Golfkrieg als kompensatorisches Manöver eines innenpolitischen Versagers im Präsidentenamt decouvriert. Der "Spiegel" sieht gar sein Bild vom rüpelhaften Amerikaner bestätigt, Bush gilt als "gespaltene Persönlichkeit eines Ostküstengeschöpfes und Südstaatenrabauken". Bremser oder Heizer? Über die Rolle der USA im Vereinigungsprozess wird in der deutschen Presse "gelobt, geschwiegen und gespottet".

Ähnlich zählebig sind auch die Deutschlandbilder in den USA. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelten die Deutschen als das am meisten gehasste Land: "Sie trauen uns alles zu, besonders das Schlimmste." Größenwahn sei Teil des deutschen Wesens, ebenso "Atavismus" und "Blutrünstigkeit": "Wir kommen als Sieger, nicht als Unterdrücker," bekundeten die Amerikaner in Flugblättern dem deutschen Volk nach der Landung in der Normandie. Doch Roosevelt und Morgenthau waren unerbittlich: "Dem deutschen Volk als Ganzem muss beigebracht werden, dass die gesamte Nation in eine rechtlose Verschwörung gegen die Würde der modernen Zivilisation verstrickt" sei.

Die Deutschlandbilder der Amerikaner schwankten seit 1776 zwischen Bewunderung für das revolutionäre und demokratiefähige Deutschland und Angst vor einer unberechenbaren, unzuverlässigen und domi-nanten deutschen Nation. Während des Golfkriegs wird in der US-Presse häufig Deutschlands "gefahrlose Rolle des Geldgebers" kritisiert, "der seine Hände nicht beschmutzt".

Trotz aller Freundschaftsschwüre

Wulf Schmieses detailreiche Untersuchung macht auf verblüffende Weise deutlich, wie sehr mentale Stereotypen im Verhältnis beider Völker trotz aller traditionellen Freundschaftsschwüre an Aktualität nichts eingebüßt haben. Kritisch muss jedoch angemerkt werden, dass in der ansonsten so gründlichen Studie die heftige deutsche Debatte während des Golfkriegs um die pro-amerikanischen Positionen der von links her kommenden "Bellizisten" um Enzensberger, Cora Stephan oder Hauke Brunkhorst nicht vorkommt.

Nobert Seitz

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