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Kultur: Vater der Nachkriegs-Moderne

Aufmerksame Leser des Hamburger Art-Magazins werden in der aktuellen Ausgabe vom Oktober ganz schön gestaunt haben: Im hinteren Drittel, dort, wo üblicherweise nur die großen, opulent bebilderten Besprechungen internationaler Museumspräsentationen stehen, hat sich diesmal die Ausstellung einer privaten Galerie eingeschlichen.Die Schau, der die ungewöhnlich große Beachtung gilt, ist dem frühen Werk von Jean Fautrier gewidmet.

Aufmerksame Leser des Hamburger Art-Magazins werden in der aktuellen Ausgabe vom Oktober ganz schön gestaunt haben: Im hinteren Drittel, dort, wo üblicherweise nur die großen, opulent bebilderten Besprechungen internationaler Museumspräsentationen stehen, hat sich diesmal die Ausstellung einer privaten Galerie eingeschlichen.Die Schau, der die ungewöhnlich große Beachtung gilt, ist dem frühen Werk von Jean Fautrier gewidmet.Gezeigt wird sie von Michael Haas aus Anlaß des 100.Geburtstages des 1964 verstorbenen französischen Malers, der auch ein wegweisendes plastisches Werk geschaffen hat.Es ist eine der wichtigsten Ausstellungen, die gegenwärtig im Berliner Kunsthandel zu sehen ist.

Vielen dürfte das Werk dieses Künstlers nur flüchtig vertraut sein, obwohl sich seine Arbeiten in den großen Museen der Welt befinden.Fautrier war einer der ersten, der der Farbmaterie selbst einen autonomen Gestaltwert zuerkannte und damit nach dem Krieg für viele zum Vorbild wurde - ein Maler wie Emil Schumacher etwa wäre ohne ihn undenkbar.Dennoch ist er künstlerisch stets ein Einzelgänger geblieben, der von Kennern bis heute zwar hoch geehrt wird, den Sprung in eine breite Öffentlichkeit jedoch nie geschafft hat.

Richtig entdeckt wurde er erst, als er bereits auf die sechzig zuging.Das war in der zweiten Hälfte der 50er Jahre, als die informelle Malerei in Europa wahre Triumphe feierte und die junge Künstlergeneration in ihm eine Vaterfigur zu erkennen glaubte.Es schien, als hätten seine berühmten "Otages"-Bilder der frühen 40er Jahre, auf denen er die Gestalt des menschlichen Körpers in eine nahezu amorphe, plastische Farbmaterie überführte, die gesamte spätere Bewegung in der Malerei vorweggenommen.Jean Fautrier nahm die Vereinnahmung, die wenigstens teilweise auf einem Mißverständnis beruhte, gelassen.Anders als das eigentliche Informel hat er den Bezug zur realen Welt nämlich nie wirklich aufgegeben.Der Realitätsgehalt des späten, so abstrakt wirkenden Werkes erschließt sich allerdings erst durch den Blick auf die frühen Bilder und Plastiken.

Einfache, ganz alltägliche Dinge sind es, die seine Arbeiten der 20er und 30er Jahre prägen: vor allem Akte und Stilleben.Entstanden sind sie in Paris, das Fautrier damals für mehrere Jahre verlassen mußte, um als Skilehrer in den Alpen Geld zu verdienen.Betrachtet man die zwanzig zum Teil musealen Gemälde sowie die Zeichnungen und Plastiken, mag man kaum glauben, daß diese Werke damals nahezu unverkäuflich waren.Eine so hohe Malkultur sollte nicht erkannt worden sein? Das Unverständnis und die Irritation der Zeitgenossen mag vor allem einen Grund gehabt haben: Während die Abstraktion der 30er Jahre bei den meisten anderen Künstlern zu einer konstruktiven, geometrischen Organisation der Bildfläche führte, beschritt Fautrier den entgegengesetzten Weg.Schon in den 20er Jahren beginnen sich bei ihm die Dinge aufzulösen, zu verflüchtigen, als wäre die Welt nichts als eine nebulöse, ungreifbare Erscheinung.

Weitgehend immateriell wirken bereits die Blumen auf dem um 1928/29 gemalten "Le pot à fleurs", eine hingewischte, fast formlose Farbgebung, die sich einer qualitativen Gewichtung und Unterscheidung der Bildelemente weitestgehend verweigert.Was hier noch an Raumbezügen erkenntlich ist, weicht bald einer radikalen Ineinssetzung von Raum, Körper, Licht und Schatten.Fautrier war an einen Punkt gelangt, wo nur noch eines blieb: die Malerei als solche.Er hat das System aus Relationen und Bezügen, auf dem unsere Wahrnehmung beruht, stellvertretend in der Malerei außer Kraft gesetzt und in der so entstandenen Einheit des Ungeschiedenen etwas Neues gefunden.Langsam verdichtete sich nun unter seinen Händen die Farbe, wurde schwerer, plastischer, körperhaft.Ab den 40er Jahren wächst die Materie gleich einer zerklüfteten Insel aus der Fläche der Bilder empor.Hier, an diesem imaginären Ort fand die Malerei der Nachkriegszeit, die völlig voraussetzungslos sein wollte, einen ihrer Anfänge.

Galerie Michael Haas, Niebuhrstraße 5, bis 31.Oktober; Montag bis Freitag 10-13 Uhr und 14-18 Uhr, Sonnabend 11-14 Uhr.Katalog 20 DM.

MARKUS KRAUSE

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