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Kultur: Venedig – die erste große Liebe

Christian Thielemann dirigiert im Teatro La Fenice - und erzählt, wie alles anfing

„Sieht es nicht wunderschön aus?“, fragt der junge Sicherheitstechniker, der uns in seiner Loge sitzen lässt. Nein, leider erinnert der schreiend bunte Saal des Teatro La Fenice auch beim zweiten Besuch mehr an eine Zirkusmanege als an jenen in Ehren verblassten Operntempel, den man in Erinnerung hat. Wenn es wahr ist, was Henning Klüver in der „Süddeutschen“ schreibt, nämlich, dass man alte Gebäude immer wieder neu interpretieren kann, so wie alte Partituren, dann ist diese Deutung so unreflektiert-nostalgisch wie ein Kirmes-Karussell. Da wird eine blattgoldene Vergangenheit heraufbeschworen, die nichts von historischen Brüchen und Widersprüchen wissen will. So wie Riccardo Mutis Interpretationen im Eröffnungskonzert, die alle Segnungen der Alte-Musik-Bewegung und Klangrede-Forschung negieren, und darum leblos bleiben.

Wie man trotz größten Respekts vor der Tradition zeitgemäße Kunst machen kann, zeigte am zweiten Abend im neualten Opernhaus Christian Thielemann. Für den Dirigenten ist der Auftritt in Venedig die Wiederbegegnung mit der ersten großen Liebe: „Ohne Venedig hätte ich niemals diese Karriere gemacht“, erzählt er dem Tagesspiegel. Und das kam so: Der 20-Jährige arbeitete als Probenpianist in der Deutschen Oper Berlin, als dort Peter Maag einige Abende dirigierte. Für eine „Tristan“-Produktion in Venedig suchte Maag einen musikalischen Assistenten. Thielemann zögerte keine Sekunde – und machte vor Ort dann buona figura, so dass die Venezianer den Nachwuchskapellmeister für ein Konzert verpflichteten.

Schnell folgen weitere Einladungen, in Genua dirigiert er „Elektra“, in Venedig seinen ersten „Lohengrin“. Noch bevor der Newcomer sein erstes Engagement an einem deutschen Stadttheater ergattern konnte, erarbeitete er sich in Italien das ganze große Repertoire bis hin zu Mahler- und Bruckner-Sinfonien. „Ich erinnere mich genau, wie ich in Venedig als Einspringer für einen kranken Kollegen das Tristan-Vorspiel machen durfte“, schwärmt Thielemann. „Dreimal haben wir das Stück durchgespielt, dann musste ich die Musiker nach Hause schicken, so bewegt war ich. Später bin ich wie besoffen durch die Gassen gelaufen.“

Bei Thielemanns Rückkehr nach 15 Jahren Venedig-Abstinenz war das Glück diesmal ganz auf Seiten des Publikums: Der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin hat für seinen Auftritt Werke ausgewählt, die er perfekt beherrscht: Wagners „Lohengrin“- und „Tristan“-Vorspiel, von Richard Strauss „Tod und Verklärung“ sowie „Till Eulenspiegel“ und, als Verbeugung vor den Gastgebern, das Intermezzo aus Puccinis „Manon Lescaut“. Obwohl er mit dem Philharmonia Orchestra kaum Probenzeit hatte, weil der winterliche venezianische Nebel die Landung der Londoner verzögerte, wirken die Musiker in jeder Sekunde hellwach, entfalten unter Thielemanns präzisem Dirigat sofort einen prachtvollen Sound. In seinem Lieblingsrepertoire hat sich der Berliner Maestro inzwischen eine Souveränität erarbeitet, die es ihm ermöglicht, ganz große romantische Gefühle zuzulassen, ohne von der eigenen Emotion überwältigt zu werden. So gelingt es ihm, modern denkende Klassikfans mit einer glasklaren, von intensiver Analyse getragenen Klangarchitektur zu verblüffen und auch emotionale Hörer durch seine echte Begeisterung für die Kompositionen mitzureißen.

Auf die architektonische Ebene übertragen, wäre das in etwa so, als hätte man das La Fenice nicht als Klon seiner selbst aufgebaut, sondern eine Interpretation gewagt, die die althergebrachte Aufgabe des Opernhauses mit heutigen Sehgewohnheiten in Einklang bringt. So, wie die Kriegsschäden in der Wiener Staatsoper durch einen modernen Zuschauerraum sichtbar gemacht wurden. So, wie der Architekt Jean Nouvel den Lyonern ein neues Wahrzeichen für ihre Stadt geschenkt hat, weil er ihrem Opernhaus nur die klassische Fassade ließ und das gesamte Innenleben so gestaltete, dass Menschen des 21. Jahrhunderts hier Musiktheater als eine Kunstform erleben können, die mit ihrer Lebensrealität zu tun hat.

Christian Thielemann selber würde allerdings niemals solcherlei Überlegungen anstellen – dafür ist er dem „La Fenice“ einfach zu tief verbunden.

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