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Kultur: Venus im Vatikan

Christian Thielemann und die Münchner Philharmoniker schenken dem Papst ein Konzert

Seit ein deutscher Papst im Vatikan zu Hause ist, zieht es die Deutschen noch mehr in die Heilige Stadt. Das gilt auch für die Politik: Die seit Benedikt XVI. gesteigerte Rom-Sucht geht mitunter soweit, dass es zu echten Rangeleien um Rom-Reisen im Kabinett kommt. Beispielsweise im Sommer, als die Post eine Briefmarke zu Ehren des neuen Pontifex maximus auf den Weg brachte. Gar nicht so einfach, da die Kompetenzgrenzen richtig abzustecken. Otto Schily ist als Innenminister zugleich auch Kirchenminister. Doch Hans Eichel stach ihn aus, denn als Bundesfinanzminister ist er zuständig für Postwertzeichen.

Am Donnerstag war die Lage zu Schilys Glück etwas eindeutiger: Die Münchner Philharmoniker und Regensburger Domspatzen gaben im Vatikan ein Konzert – „das Geschenk der Heimat“ –, und für Kultur und Kirche ist in der Bundesregierung eindeutig der Innenminister zuständig! Schwieriger war diesmal die Lage in München und Bayern, der Heimat des neuen Papstes. Denn die Münchner Philharmoniker sind ein städtisches Orchester, und die Stadt wird rot regiert: Also handelt es sich um ein SPD-Orchester – meinen jedenfalls maßgebliche Kräfte in der CSU. Weil aber eine kurzfristige Intervention, doch lieber das bayerische Staatsorchester – das CSU-Orchester, wenn man so will – nach Rom zu entsenden, gar nichts bewirkte, blieben die ersten Repräsentanten des weißblauen Staates und ihrer Partei dem Konzert trotzig fern. Stattdessen hielten deren ranghöchste Vertreter, die Dissidentin der CSU-Abordnung in der Bundesversammlung, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, sowie Max Josef Strauß, in Rom die Stellung.

Doch damit nicht genug. Denn das erste Konzert für den neuen Papst – in der Nachfolge von Vatikan-Auftritten Arturo Benedetti Michelangelis und Herbert von Karajans – hat selbstverständlich viele Väter. Zuvörderst die Stadt München und ihren Oberbürgermeister Ude, die es seinerzeit verhinderten, dass Benedikt XVI., als er noch Josef Kardinal Ratzinger hieß, Ehrenbürger der bayerischen Landeshauptstadt wurde. „Wiedergutmachung“ für diesen Fehler, das sei ihm ein zu großes Wort, versicherte Ude kurz vor Beginn des Konzerts. Aber heute würde man doch manches anders machen. Das Verdienst komme im übrigen eher dem Orchester zu. Eine Sprachregelung, mit der die Münchner Kulturdezernentin leben kann, solange ihr eigener Anteil dabei groß genug herausgestrichen wird.

Tatsächlich hat der Kampf der Eitelkeiten um die Urheberschaft des Konzerts dessen Zustandekommen beinahe verhindert. Denn außer dem eigentlichen Veranstalter und Inspirator, dem in Berlin ansässigen Europazweig der New Yorker Künstleragentur Columbia Artists, wollten viele mitmischen, bevor das Projekt in trockenen Tüchern war. So etwas mag man im Vatikan gar nicht. Zudem drängeln sich alle Orchester von Weltrang vor dessen Türen – schließlich ist ein solches Konzert auch ein kommerzielles Ereignis.

Am Ende war es ein gelungener Abend. Denn der Abbau der Klangkathedrale der Celibidache-Zeit tut den Münchner Philharmonikern ausgesprochen gut. Nie hat man sie besser gehört als unter ihrem neuen Chef Christian Thielemann, dem verlorenen Sohn Berlins, der selbst in einem verhallten Zweckbau wie der vatikanischen Aula Paolo VI bemerkenswert transparente Klänge schafft. Und selten bezeugt eine Interpretation von Verdis Te Deum so deutlich, dass der Opernkomponist von Wagner fasziniert war und ihn bei der Komposition seines sakralen Spätwerks im Ohr hatte.

Die Sensation des Abends aber war das Vorspiel zum ersten TannhäuserAkt. Thielemanns Meisterschaft als Wagner-Interpret ist allseits anerkannt; doch selbst die idealen akustischen Bedingungen des Bayreuther Festspielhauses stellt die römische Version in den Schatten: Hier klingt der „Tannhäuser“ mächtig, nicht pompös oder wuchtig. Zudem ist es eigenartig, das Pilgermarsch-Motiv am Wallfahrtsort selbst zu hören. Wagner im Vatikan, erst recht der „Tannhäuser“, in dem die Sünden des Venusbergs und die gnadenlose Hartherzigkeit eines Papsts zentrale Themen sind: ein mutiges Programm – das vom Heiligen Stuhl zuvor abgesegnet wurde. Könnte man sich mit Otto Schily nicht sicher sein, dass Rom und die römische Kirche kein Ort des verderblichen Relativismus werden, schon gar nicht unter diesem deutschen Past, müsste man sich beinahe Sorgen machen.

So aber ist der Venusberg im Vatikan Ausdruck neu gewonnener Souveränität. Benedikt mag diese Musik, in Bayreuth hat er Thielemanns „Tannhäuser“ vor einigen Jahren gehört und war begeistert. Die Freude an der Musik – sie lachte Benedikt den ganzen Abend aus dem Gesicht. Das Geschenk der Heimat ist vorzüglich angekommen.

Peter Siebenmorgen

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