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Kultur: Venus von der Straße

Vor den großen Herbstauktionen: Die Villa Grisebach zeigt alle 1000 Werke in Berlin

Er steht da wie die Venus von Botticelli, doch für eine schaumgeborene Göttin fasst sich der Teenager ziemlich aggressiv in den Schritt. Larry Clark hat den Strichjungen von der 42sten Straße in Tulsa Ende der siebziger Jahre fotografiert. Die ganze Serie, in der sich der US-Filmemacher mit von Gewalt und Sexualität geprägten Jugendlichen in seiner Heimatstadt auseinandersetzt, gehört mit 40 000-50 000 Euro Schätzpreis zum Teuersten, was die Villa Grisebach in ihrer kommenden Fotoauktion unter den Hammer bringen will.

Klassiker prägen ansonsten die Versteigerung von Fotografie am 27. November (ab 15 Uhr). Darunter Vintages aus den Dunkelkammern von Bernd und Hilla Becher (700-5000 Euro), Horst P. Horst (9000-15 000 Euro) oder Helen Levitt (5000-9000 Euro). Sie markieren den Auftakt der Herbstsaison, die bei Grisebach in der Vergangenheit stets Anlass zum Jubeln waren. Noch im Frühjahr vermeldete das Berliner Auktionshaus einen Rekord: Mit einem Umsatz von 15,5 Millionen Euro durfte sich die Abendauktion vom 30. Mai die erfolgreichste aller Grisebach-Versteigerungen nennen. Über zwei Millionen Euro brutto brachte allein das Gemälde „Kinder am Hafen“ (1914) von August Macke, für das sich ein Sammler aus Norddeutschland erwärmte.

Ein Spitzenlos dieser Preiskategorie fehlt diesmal im Hauptkatalog der ausgewählten Werke. Dafür locken am 28. November andere hochpreisige Namen vor allem aus dem Bereich der Klassischen Moderne. Die Abendauktion kann mit einem aquarellierten Mädchen von Adolph von Menzel (90 000-150 000 Euro) aufwarten, mit einer wunderbaren nächtlichen Straßenszene von Lesser Ury (60 000- 80 000 Euro) und drei Gemälden der Worpswede-Künstlerin Paula Modersohn-Becker (30 000-200 000 Euro). Emil Nolde ist gleich mit sechs Aquarellen vertreten, für die bis zu 200 000 Euro erwartet werden.

Weit mehr muss veranschlagen, wer ein Gemälde von Max Liebermann besitzen möchte: Für das „Strandleben“ von 1916 werden bis zu 700 000 Euro erwartet. Der Preis ist ähnlich taxiert wie bei früheren Offerten und zeigt, dass Liebermann trotz seiner Beliebtheit nicht zu jenen Malern gehört, mit denen in jüngerer Zeit spekuliert wurde.

Natürlich findet man auch solche Künstler im Katalog. Hinter Los 81 etwa verbirgt sich ein „Cut“ (2006) von Gerhard Richter: eine gerade mal 36 Zentimeter große Arbeit in Öl auf Leinwand, die Teil einer größeren Leinwand war und von Richter zerschnitten worden ist. Mindestens 150 000 Euro soll das abstrakte Motiv in Blauweiß bringen – ein reeller Marktwert, von dem sich allerdings zeigen muss, ob den Sammlern nach zwei Rückgängen von Richters Bildern bei Sotheby’s vor wenigen Wochen nicht die Lust an Preisen wie diesen vergangen ist.

Vielleicht richtet der ein oder andere, der bislang an Zeitgenössischem interessiert war, sein Auge stattdessen auf das üppige Angebot von Lovis Corinth. Vor 150 Jahren wurde der große Mittler zwischen Impressionismus und Expressionismus geboren: Grisebach feiert das Jubiläum am 28. November (ab 17 Uhr) mit einer Sonderauktion, die neben drei Papierarbeiten (15 000-30 000 Euro) sechs Ölgemälde zum Erwerb bereithält. Viele davon sind über zwei, höchstens drei Vorbesitzer in eine Schweizer Privatsammlung gewandert und waren in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen Museumsausstellungen zu sehen. Eine Gelegenheit, betont Bernd Schultz, die so nicht wiederkommt – damit hat der Geschäftsführer der Villa Grisebach zweifellos recht.

Insgesamt 1098 Lose werden am kommenden Wochenende aufgerufen. Neben den Spitzenwerken der Moderne wartet Contemporary-Kunst (28.11., ab 15 Uhr) mit großen Formaten etwa von Eberhard Havekost (150 000-200 000 Euro) oder Georg Baselitz (180 000- 240 000 Euro). Am Samstag, den 29. November schließt an die Hauptauktion mit Kunst aus drei Jahrhunderten (ab 10 Uhr) um 15 Uhr der „Third Floor“ mit Schätzwerten bis 3000 Euro an. Und auch hier lassen sich kleine Entdeckungen machen: Es gibt eine Serie von acht Klebefolie-Unikaten von Beat Zoderer (1500-2000 Euro), Fotos in kleiner Auflage von Wolfgang Tillmans (2000- 3000 Euro) und ein auffallendes Pastell von Ida Kerkovius (2000-3000 Euro).

Alles da, bloß keine Angst vor den Auswirkungen der Finanzkrise: „So etwas kann man auch herbeireden!“, poltert Bernd Schultz und führt zum Beweis des Gegenteils seine Beobachtungen aus den vergangenen Wochen an. Noch nie seien zu den Vorbesichtigungen der Villa Grisebach in den Repräsentanzen in Düsseldorf, München, Hamburg und Zürich so viele Besucher gekommen wie dieses Mal: „Wir haben aber auch immer auf die bürgerlichen Sammler gesetzt, nie auf sogenannte Finanzjongleure“, schiebt Schultz hinterher. Das scheint keine schlechte Entscheidung gewesen zu sein.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25, www.villa-grisebach.de; Vorbesichtigung aller Werke: 22.-26. November, Sa-Di 10-18.30 Uhr, Mi 10-17 Uhr.

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