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Gottlos? Auch das Soldaten-Foto der Gruppe „Blue Noses“ erzürnte die Eiferer.

© dpa

"Verbotene Kunst": Nach dem Kunst-Urteil: Proteste in Moskau

Mit einer Ausstellung 2007 zogen sich zwei russische Kunsthistoriker Unmut religiöser und politischer Eiferer zu - und landeten vor Gericht. Das Straflager bleibt ihnen aber erspart.

Das Straflager bis zu drei Jahren, wie vom Staatsanwalt gefordert, bleibt ihnen erspart. Aber die Geldstrafen haben sich gewaschen: 150 000 Rubel, umgerechnet 3850 Euro, muss Andrej Jerofejew berappen, 200 000 Rubel (5140 Euro) sein Kollege Juri Samodurow. Der Grund: die Ausstellung „Verbotene Kunst“, in der die beiden Kunsthistoriker 2007 Werke der Siebziger und Achtziger gezeigt hatten, die mit denTabus im sowjetischen Kunstbetrieb der Breschnew-Ära brachen.

Einige Arbeiten waren in der Tat gewöhnungsbedürftig: Jesus als Micky-Maus etwa oder schwarzer Kaviar in einer Ikone, wo sich sonst ein Muttergottesbild befindet. Der Zorn frommer Eiferer richtete sich indes gegen die Aussteller, denen Anstiftung zu religiösem Hass und Erniedrigung der Menschenwürde vorgeworfen wird. Orthodoxe Fundamentalisten sprachen gar von Russophobie und einem „Bündnis mit Satan“.

Ähnlich schrill wie beim Schlagabtausch, den Gegner und Sympathisanten sich seit Beginn der Hauptverhandlung im April 2009 liefern, stritten sich die Fraktionen auch bei der fast dreistündigen Urteilsverkündung am Montag in Moskau. Dort kamen sogar symbolträchtige Requisiten zum Einsatz: Kirchenfahnen wurden geschwenkt, Kruzifixe hoch gehalten und Küchenschaben losgelassen. Tausend Tiere, einige zentimetergroß, hatte eine linksradikale Jugendorganisation im Gerichtssaal symbolisch gegen die „Klassenjustiz“ eingesetzt.

Hoch schlugen die Wogen der Empörung auf beiden Seiten auch nach der Verkündung des Strafmaßes. Zwar hatte Wladimir Wigilanski, Pressesprecher des Moskauer Patriarchats, noch am Morgen bei Radio „Echo Moskwy“ statt Knast für die Zahlung von Kohle und für Milde gegenüber den Delinquenten plädiert: Christen müssten verzeihen können. Von den Ultraorthodoxen, die im Vorfeld öffentlich die Abschaffung der Todesstrafe bedauert hatten, mit der das Zarenreich Gotteslästerung ahndete, sahen die Richter sich dagegen als Weicheier und die Angeklagten als „unbußfertige Rückfalltäter“ beschimpft.

Formaljuristisch stimmt der Vorwurf sogar. Jerofejew und Samodurow waren schon 2003 mit der Ausstellung „Vorsicht Religion“ angeeckt. Gralshüter des reinen Glaubens hatten die „Schande“ in einer Nacht- und Nebelaktion einen Teil der Exponate vernichtet. Vor Gericht mussten sich Anfang 2005 indes nicht die Bilderstürmer, sondern die Kuratoren verantworten. Juri Samodurow hatte schon vor der Urteilsverkündung seinen Job als Direktor des Sacharow-Zentrums verloren, Andrej Jerofejew musste in der Tretjakow-Galerie den Posten des Kurators für moderne Kunst räumen.

Zwar bezeichnete Jerofejews Anwältin Anna Stawizkaja das Urteil als Quasi-Freispruch, denn es hätte schlimmer kommen können, aber ihr Ziel hätten die Bilderstürmer dennoch erreicht. Die Öffentlichkeit sei eingeschüchtert worden und daher der eigentliche Verlierer des Prozesses. Organisatoren provokanter Ausstellungen würden fortan sehr genau überlegen, was sie der Gesellschaft zumuten können und sich im Zweifelsfall gezwungen sehen, den Segen von Mutter Kirche einzuholen. Ultraorthodoxe wie Oleg Kassin, Chef des erzkonservativen Volkskonzils, das als Nebenkläger auftrat, kündigte an, gegen Jerofejew und Samodurow in Kürze eine weitere Strafanzeige stellen, diesmal wegen Vandalismus. Jerofejew dagegen will das Urteil anfechten. Er setzt auf aggressive Vorwärtsverteidigung. Als nächstes, so zitierte ihn die Nachrichtenagentur RIA nowosti, plane er eine Ausstellung von Karikaturen der letzten Jahre. Russland und den Russen sei der Humor abhanden gekommen.

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