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Verbrecher JAGD: Baaders Erbe

Ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit: Ulf Miehes erster Kriminalroman hieß „Ich hab noch einen Toten in Berlin“ und erschien 1973 als Hardcover beim Piper Verlag. Nimmt man die Ausgabe heute in die Hand, fällt einem als erstes das Foto auf der Rückseite auf, schwarzweiß und ohne jede Spur von Ironie.

Ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit: Ulf Miehes erster Kriminalroman hieß „Ich hab noch einen Toten in Berlin“ und erschien 1973 als Hardcover beim Piper Verlag. Nimmt man die Ausgabe heute in die Hand, fällt einem als erstes das Foto auf der Rückseite auf, schwarzweiß und ohne jede Spur von Ironie. Der Schriftsteller inszeniert sich in Lederjacke, mit dunkler Brille, filterloser Kippe im Mundwinkel und einem schlecht rasierten Henriquatre als Mischung aus Andreas Baader, John Lennon und Rainer Werner Fassbinder. Damals ging das ganz gut zusammen.

Die Geschichte ist tatsächlich irgendwo zwischen Rebellion, Rock‘n‘Roll und deutschem Autorenkino angesiedelt. Gorski ist Regisseur, Benjamin ist Drehbuchautor, und beide arbeiten an einem Gangster-Film, der möglichst „echt“ sein soll. Also heuern sie in Berlin einen Berufsverbrecher als Berater an. Von ihm erfahren sie nicht nur, wie man sich Schusswaffen und falsche Papiere besorgt, sie bekommen auch einen Tipp für einen Coup. Rein theoretisch, ist klar. Zweimal im Monat landet in Tegel eine Militärmaschine mit dem Sold der amerikanischen Soldaten, zwei Säcke voll mit Dollarnoten – eine Steilvorlage für einen Überfall. Die Filmemacher sprechen das Szenario durch, und während Benjamin noch nach einem Schluss für sein Drehbuch sucht, hat Gorski das Projekt bereits aus dem Kino zurück auf die Straße geholt. Der Regisseur setzt zu einer zweiten Karriere als Krimineller an: „Scheiß doch auf den Film. Ich will so leben, dass ich mich nach Jahren nicht plötzlich fragen muss: Was ist eigentlich gewesen?“

Das Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit wirkt auf den ersten Blick ein bisschen gewollt, aber die raue Alltagssprache hat ihre Wucht bis heute behalten. Kaufen kann man dieses Buch zur Zeit allerdings nur aus zweiter Hand. „Ich hab noch einen Toten in Berlin“ ist vergriffen, obwohl der 1989 viel zu jung verstorbene Ulf Miehe gern in einem Atemzug mit Jörg Fauser genannt wird. Fauser hat im Alexander Verlag seine Werkausgabe bekommen, Miehe dagegen, der es mit seinem Kollegen locker aufnehmen kann, ist lange ein Fall für‘s Antiquariat geblieben. In diesem Jahr wäre er sechzig Jahre alt geworden, und DuMont hat sich entschlossen, wenigstens einen seiner Krimis neu zu veröffentlichen. „Puma“ (Hg. von Peter Henning. Mit Materialien zu Leben und Werk. DuMont, Köln 2010, 474 Seiten, 11,95 €) ist der formal strengere Nachfolger von „Ich hab noch einen Toten in Berlin“, ein roman noir ohne literarische Meta-Mätzchen.

Es beginnt in Frankreich. Der Elsässer Franz Morgenroth hat neun Jahre im Gefängnis von Fresnes gesessen. Als er entlassen wird, steckt in seiner Tasche ein Foto von einer jungen Frau, von der er nur drei Dinge weiß, „ihren Nachnamen, dass sie Deutsche war und dass er vorhatte, sie zu entführen.“ Er treibt in aller Ruhe ein paar alte Schulden ein, bevor er nach München fährt, um dort die Entführung von Billie Kammerloh vorzubereiten, der Tochter eines Waffenfabrikanten. Ulf Miehe weiß, wie wichtig das richtige Tempo für einen Krimi ist, also lässt er seinem Protagonisten Zeit. Morgenroth, genannt der Puma, mietet ein Einfamilienhaus in der Nähe des Englischen Gartens an, besorgt einen Fluchtwagen und rekrutiert Helfer, und obwohl alles bis ins letzte Detail geplant ist, läuft die Sache aus dem Ruder. Plötzlich geht es schnell. Kammerloh weigert sich zu zahlen, Billie wechselt die Seiten, und jetzt ist nicht mehr die Tochter die Geisel, sondern der Vater.

Ein verhängnisvolle Wendung, auch für die Rezeptionsgeschichte des Romans. „Puma“ erschien 1976, verkaufte sich glänzend, in Deutschland und sogar in den USA. Doch die geplante Verfilmung scheiterte, weil sich nach der Entführung von Hanns-Martin Schleyer im Herbst 1977 kein Produzent mehr auf den Stoff einlassen wollte. Zu viel Andreas Baader, zu wenig Autorenkino. Auch die Idee, aus Recherchegründen einen Überfall auf einen amerikanischen Militärkonvoi zu planen, hatte mittlerweile ihre Unschuld verloren. Damit schließt sich der Bogen: Zuletzt gewinnt die Wirklichkeit über die Fiktion. In Krimis passiert das nur selten. Das macht die Bücher von Ulf Miehe aus. Sie sind einfach viel zu gut ausgedacht.

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