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Verbrecher JAGD: Dante hätte das gefallen

Ich geb’s zu. Es ist schlimm opportunistisch, ausgerechnet jetzt über ihn zu schreiben.

Ich geb’s zu. Es ist schlimm opportunistisch, ausgerechnet jetzt über ihn zu schreiben. Joe R. Lansdale hat knapp fünfzig Romane veröffentlicht – Thriller, Western, Horror, Science-Fiction –, zudem Hunderte von Kurzgeschichten. Über diesen Schriftsteller hätte man längst drei, vier Zeitungsdoppelseiten vollschreiben können: über sein hochproduktives Autorendasein in einem Kaff in Texas, über seine doppelt und dreifach randständigen Protagonisten (Treffen Sie den schwulen schwarzen Vietnam-Veteranen Leonard Pine!) und natürlich über die irre Leistung von Kleinstverlagen wie Pulp Master, Shayol oder Golkonda, die immer mal wieder ein Lansdale-Buch in deutscher Übersetzung veröffentlichen.

Total opportunistisch also, genau in dem Moment ein paar Sätze in dieser Kolumne zu schreiben, in dem uns Tropen und damit die verlegerische Großmacht Klett-Cotta einen extrahübsch aufgemachten Landsdale-Romane vor die Füße wirft. Was soll’s: „Dunkle Gewässer“ (Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel. Stuttgart 2013, 320 S., 19,95 €.) spielt in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte von drei Teenagern, die sich nach dem Mord an ihrer gemeinsamen Freundin May Lynn auf einem wackeligen Floß einen namenlosen Fluss heruntertreiben lassen. Hinter ihnen liegt ihr armseliges Leben in einer heruntergekommenen Hinterwäldler-Siedlung, mit versoffenen Müttern und brutalen Vätern – und vor ihnen die vage Hoffnung auf die Beute aus einem Banküberfall, die flussabwärts auf einem alten Friedhof versteckt sein soll.

Es liegt nicht nur an der Hardcover-Ausstattung, dass der aktuelle Lansdale auf den ersten Blick verdächtig nach „großer Literatur“ aussieht. Über den Seiten hängt der faule Geruch von Sumpf und Brackwasser, der Erinnerungen an Cormac McCarthys Tennessee-River-Roman „Verlorene“ weckt, und wenn man die Augen zukneift, könnte man meinen, auf dem Floß Huck Finn und seine Gefährten zu erkennen. Aber dafür – „große Literatur!“ – ist dieser renitente Autor halt nicht zu haben. Spätestens wenn ein rassistischer Polizist mit abgehackten Händen auf einem Küchentisch ausblutet und ein nach Verwesung riechender schwarzer Killer mit Beilen schmeißt, ist man mitten in Lansdales krass überzeichneter, von Zombies und anderen Randgruppen bevölkerten Genre-Hölle.

Dort könnte man eigentlich auch auf Giovanni treffen. Er ist der Sohn eines mächtigen Camorra-Bosses – und leider schwul. Das darf in Neapel niemand wissen, denn in der Welt der Clans ist Homosexualität die schlimmste aller Sünden, ein „Fluch auf dem Altar der Heiligen Klara“. Außerdem ist Giovanni gerade erst mit der Tochter einer rivalisierenden Familie verheiratet worden, eine mühsam ausgehandelte, geschäftlich äußerst einträgliche Verbindung, die auf keinen Fall dadurch gefährdet werden darf, dass der Sohn von Don Antonio beim Sex mit einem Camorra-Buchhalter erwischt wird. Hastig beginnt Giovanni, Mitwisser aus dem Weg zu räumen, Stricher, Junkies, Lover – doch die Schlinge um seinen Hals wird immer enger: Gerade erst hat sein Vater ihm einen Satz von Dante zukommen lassen, über den Kreis der Hölle, in dem diejenigen für immer eingeschlossen sind, die „der Natur Gewalt antun“.

„Der Verstoß“ heißt dieser kurze, heftige Roman von Luigi Romolo Carrino, den – wieder einmal! – Frank Nowatzki vom Berliner Pulp-Master-Label aufgespürt hat (Aus dem Italienischen von Klaudia Ladurner, Pulp Master, 2013, 124 S., 11,80 €). Über die Struktur und Geschichte der organisierten Kriminalität in Italien sind wir nicht zuletzt durch Roberto Savianos „Gomorrha“ gut informiert. Die naheliegende Frage nach der Rolle der Homosexualität innerhalb dieser Männerbünde wird dabei allerdings gerne ausgeblendet. Gleichzeitig, und darum ist dieses Buch ein doppelter Tabubruch, ist schwule Liebe im Krimi-Mainstream immer noch eine No-go-Area. Sex heißt hier fast immer Sex zwischen Männern und Frauen. Carrino dagegen schreibt cool und explizit über eine „reine Männersache“ – und über den Geschmack einer Liebe, die so „scharf ist wie der Geruch der Nacht in den Gärten der Villa Communale“. Hardboiled trifft Hardcore. Dante hätte das gefallen.

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