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Verbrecher JAGD: Mach mit beim Sozialismus 2.0

Benjamin Lorant ist ein Mann ohne Vergangenheit. 1988 hat man ihn im Auftrag der Hauptverwaltung Aufklärung aus der DDR in die Schweiz geschickt, um in Genf Kontakt zu einem Waffenhändler aufzunehmen, mit dem Uwe Barschel kurz vor seinem Tod im Hotel Beau Rivage in Verbindung gestanden haben soll.

Benjamin Lorant ist ein Mann ohne Vergangenheit. 1988 hat man ihn im Auftrag der Hauptverwaltung Aufklärung aus der DDR in die Schweiz geschickt, um in Genf Kontakt zu einem Waffenhändler aufzunehmen, mit dem Uwe Barschel kurz vor seinem Tod im Hotel Beau Rivage in Verbindung gestanden haben soll. Er geht eine „operative Ehe“ mit einer Pressereferentin der Uno ein, doch dann fällt die Mauer. Benjamin Lorant, der eigentlich Johann Blume heißt und aus Leipzig stammt, nutzt die Gelegenheit und nimmt Abschied von seinem alten Leben. Er genießt es, sich „in seiner falschen Biographie zu verirren“, bis sich ihm zwanzig Jahre nach der Wende dann plötzlich vor dem Beau Rivage ein Mann „mit einem etwas aus der Mode gekommenen Filzhut“ nähert. Er trägt eine Ausgabe der „Leipziger Volkszeitung“ unter dem Arm – und pfeift ein paar Takte aus der Nationalhymne der DDR.

Krimis, die zurück in die deutsch-deutsche Geschichte führen, gibt es einige, von Bernhard Sinkel, Christian von Ditfurth oder zuletzt von Elisabeth Herrmann. Die meisten dieser Bücher machen aus der DDR einen Staat, in dem Stasi-Auftragsmorde mehr oder weniger zum Alltag gehörten. Peter Zeindler, Jahrgang 1934, ein leider viel zu wenig bekannter Schriftsteller aus der Schweiz, hat mit „Urknall“ (Friedrich Reinhardt Verlag, Basel 2011, 304 Seiten, 23 €) dagegen jetzt einen leisen, melancholischen Spionageroman geschrieben.

Lorant soll in Genf erneut rekrutiert werden, zu welchem Dienst ist zunächst unklar, und als die Vergangenheit, die er längst verloren glaubte, zur Bedrohung wird, entscheidet er sich für eine Reise „zurück in die Welt seines eigentlichen Herkommens“. Er fährt nach Leipzig. Eine ehemalige Oberschule mit dem Namen „Georgi Dimitroff“, ein halb verwaister Plattenbau, verblichene Vorhänge in einem alten Eisenbahnwaggon: Nach der Lektüre von Zeindlers „Urknall“ hat man das Gefühl, die DDR sei nichts als ein flüchtiger Traum gewesen. Was wäre, wenn es diesen seltsamen Staat nie gegeben hätte? Und was, wenn es ihn immer noch gäbe? Simon Urban hat die DDR in seinem Debüt „Plan D“ (Schöffling, Frankfurt a. M. 2011, 550 Seiten, 24,95 €) versuchsweise in die Gegenwart verlängert.

Deutschland im Jahre 2011, die Mauer steht noch, und im Osten läuft es nicht einmal schlecht. Sowjetisches Erdgas wird mit einer Pipeline durch die DDR nach Westdeutschland befördert, die Bundesrepublik zahlt viel Geld für den Transit. Gerade sollen neue Verträge gemacht werden, als ein ehemaliger Berater der Ostberliner Regierung tot an einer Pipeline baumelt. Es gibt Hinweise, dass der Staat an dem Mord beteiligt ist – und die BRD droht, die Energieverhandlungen scheitern zu lassen. Hauptmann Martin Wegener von der Volkspolizei wird beauftragt, den Fall zu klären, gemeinsam mit einem Kollegen vom BKA: „Alles hängt da dran: die Neuordnung der Energieverträge, Devisen, Arbeitsplätze, vielleicht sogar die Grenzöffnung.“ Genau: Die Grenze ist ja noch geschlossen.

„Plan D“ ist ein politischer Thriller vor dem Hintergrund einer kontrafaktischen Geschichte. Man denkt natürlich gleich an Robert Harris’ Genre-Klassiker „Fatherland“, in dem Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewinnt. Doch bei Simon Urban geht es nicht ganz so ernst zu. Der 1975 geborene Schriftsteller, der hauptberuflich in einer Hamburger Werbeagentur arbeitet, hat die DDR liebevoll aufgehübscht. Der Trabi-Nachfolger „Phobus“ fährt mit umweltverträglichem Rapsöl, Handys heißen im Osten „Minsk“ und sind ihren Konkurrenzprodukten aus dem Westen dank Stasi-Technik haushoch überlegen, und das aktuelle Trendgetränk ist eine Brause namens „Bionier“. Die Arbeitslosen werden „Lötzsch-2-Empfänger“ genannt, ein Hinweis darauf, dass der Staat sich nach der Krise Ende der achtziger Jahre personell verjüngt hat – um darüber hinaus auch noch einen der besten Köpfe aus dem westlichen Führungskader abzuziehen: Das Ministerium für Staatssicherheit wird im real existierenden Sozialismus 2.0. vom ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily geleitet. Allein für diesen Einfall müsste Simon Urban eigentlich den guten alten Orden „Held der DDR“ zuerkannt bekommen.

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