zum Hauptinhalt

Verbrecher JAGD: Männer sind Monster

An die Täterperspektive haben wir uns ja längst gewöhnt. Es ist also Routine, wenn wir am Anfang von Giampaolo Simis „Vater.

An die Täterperspektive haben wir uns ja längst gewöhnt. Es ist also Routine, wenn wir am Anfang von Giampaolo Simis „Vater. Mörder. Kind“ (Aus dem Italienischen von Anja Natteford. C. Bertelsmann, München 2013. 301 S., geb., 19,99 €.) einem mutmaßlichen Pädophilen über die Schulter sehen. Furio Guerri parkt seinen Wagen drei Häuserblocks weiter, zieht sich die Mütze tief in die Stirn – und setzt sich dann mit einer Supermarkttüte in der Hand gegenüber der Schule auf eine Parkbank, um die Mädchen beim Sportunterricht zu beobachten: „Ich bin das Monster Furio Guerri.“ Und: „Ich nehme mir, was ich will. Irgendwann tue ich es."

Keine Angst, das Ganze ist natürlich nur ein Trick. Ein Erzähltrick. Auch daran haben wir uns gewöhnt. Aber Giampaolo Simi – Italiener, Jahrgang 1965 – macht das richtig gut. Dem Handelsreisenden Furio Guerri nimmt man den Pädophilen gerne ab, gerade wegen der genretypischen „bürgerlichen Fassade“, einem frei stehenden Einfamilienhaus in der Toskana, das er sich mit Hilfe unsauberer Geschäftspraktiken wie Bestechung und Erpressung geleistet hat. Erst nach knapp 100 Seiten ahnt man, dass eine der Schülerinnen, die er beobachtet, möglicherweise seine Tochter ist – und dass das solide Eigenheim, in dem Furio mit seiner Familie lebt, auf eine andere Zeitebene gehört: Giampaolo Simi ist einer der elegantesten Trickbetrüger unter den jüngeren italienischen Autoren. Allerdings einer, der seine Mittel sehr bewusst einsetzt.

„Vater. Mörder. Kind" ist nicht einfach nur ein handwerklich raffiniert gemachter Roman über ein Mittelschicht-Verbrechen – er wirft auch einen zynischen Blick auf die Tragödie des italienischen Durchschnittsmanns im Teufelsdreieck zwischen katholischer Doppelmoral, staatlich geförderter Korruption und einer an Eros-Ramazzotti-Songs geschulten erotischen Selbstüberschätzung.

Der überforderte Mann: Das ist auch der Ausgangspunkt von Patrícia Melos brasilianischem Thriller „Leichendieb“ (Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Tropen, Stuttgart 2013. 201 S., geb., 18,95 €.). Dem namenlosen Geschäftsführer eines Call Centers in São Paulo wird gekündigt: „Ich geriet sofort in eine Krise. Kam nicht aus dem Bett und nahm so viel Schlafmittel, dass ich einer Maschine ähnelte, die man an- und abschaltete.“ Der abservierte Manager zieht nach Corumbá, einer Stadt in der Nähe der bolivischen Grenze, wo er sich die Zeit mit Bier und Angelausflügen vertreibt. Eines Nachmittags wird er Zeuge eines Unfalls: Eine kleine Privatmaschine stürzt in den Rio Paraguay. Der Pilot ist tot, und in seinem Rucksack befindet sich ein gutes Kilo Kokain. Gute Gelegenheit, schnell ein bisschen Geld zu machen: „Ich wollte nur genügend, um eine Weile nicht mehr arbeiten zu müssen.“ Na, klar!

Wer die Thriller von Patrícia Melo kennt, kunstvoll übersteuert, immer an der Grenze zur Parodie, der weiß, dass es jetzt auf bizarre Art kompliziert werden muss. Das mit dem Dealen läuft dann halt etwas zu gut. Der arbeitslose Call-CenterManager, Spitzname „Porco“, das Schwein, lässt sich auf ein Geschäft mit einem Kartell ein, hat plötzlich gefährlich hohe Schulden und unternimmt einen geschmacklosen Erpressungsversuch, an dessen Ende er unter anderem ein Grab schändet: Aus dem aussortierten Businessman wird ein dreckiger Leichendieb. Seine Erkenntnis: „Die Toten bringen die Lebenden um.“

Melo, die mittlerweile in der Schweiz lebt, erzählt so mit den Mitteln der Groteske die Geschichte eines brasilianischen Büro-Zombies – eines typischen männlichen Vertreters der ausgebrannten urbanen Mittelschicht, die sich derzeit im Prozess einer aggressiven Desillusionierung befindet. Zuletzt demonstrierten hunderttausende Brasilianer gegen Korruption und für bessere Sozialsysteme, lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und steckten Autos in Brand.

Im Herbst ist Brasilien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. „Ein Land voller Stimmen“ ist das Motto. Klingt wie immer nett und irgendwie bunt. Interessanter werden vermutlich die Untertöne. In Patrícia Melos „Leichendieb“ sind sie schon mal ziemlich düster.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false