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Verbrecherjagd: Erst der Tequila, dann die Leiche

Die Bücher von Per Wahlöö und seiner Frau Maj Sjöwall aus den siebziger Jahren sind die Blaupause des schwedischen Polizeiromans. Inzwischen geht dieser mit Romanen von Mons Kallentoft oder Michael Hjörth und Hans Rosenfeldt in die dritte Generation - und die Protagonisten von heute sind nicht viel ausgeglichener als damals.

Ihr Werk wirft einen langen Schatten. Vor gut vierzig Jahren veröffentlichten Per Wahlöö und seine Frau Maj Sjöwall ihren ersten gemeinsamen Krimi: „Die Tote im Götakanal“. In insgesamt zehn Bänden erfand das Ehepaar das Erfolgsmodell des schwedischen Polizeiromans. Auffälligstes Kennzeichen – neben der modischen Gesellschaftskritik, die den Kriminellen zum Opfer der Umstände machte! – war der pessimistische Blick auf das Privatleben der Hauptfiguren. Kommissar Martin Beck zum Beispiel stand im Zentrum einer spätkapitalistischen Mittelschichtstragödie. Sein Familienleben litt unter der Arbeitsbelastung, er entfremdete sich von Fall zu Fall mehr von den Kindern, dann zerbrach die Ehe. Für Sjöwall/Wahlöö war nicht nur das Verbrechen ein Symptom einer kranken Gesellschaft, sondern auch der zerrüttete Alltag der Ermittler.

Mittlerweile geht der schwedische Polizeiroman in die dritte Generation. Man kann nicht sagen, dass seine Protagonisten heute viel ausgeglichener wären. Nehmen wir Kommissarin Malin Fors aus Linköping. Mitte dreißig, verheiratet, eine Tochter – und ein Problem: Am Anfang von Mons Kallentofts „Blutrecht“ (Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. Wunderlich, Reinbek 2011, 509 S., 19,95 €) wacht Malin Fors morgens auf dem Fußboden ihrer Wohnung auf, neben sich „eine fast leere Flasche Tequila“. Ein paar Stunden später die erste Leiche. Ein Rechtsanwalt ist ermordet worden, zu den Verdächtigen gehören die Angehörigen einer alteingesessenen adligen Familie. Die Spuren führen weit zurück in die Vergangenheit, doch für Malin Fors ist das größte Problem, das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu behalten.

Die Kommissarin trinkt, das wissen wir aus Kallentofts ersten zwei Romanen. Sie ist reizbar, unkonzentriert, dauerverkatert – und ihre Kollegen sehen darüber hinweg. Sie haben genug mit sich selbst zu tun. Karim Akbar, Polizeidirektor und Schwede mit Migrationshintergrund, hat eine schmutzige Scheidung hinter sich, Börje Svärds pflegt seine todkranke Frau, und alle leiden unter dem kalten Regen in Linköping, einer Stadt, „die nichts anderes ist als die Verpuppung menschlicher Träume“. So pumpt sich der schwedische Polizeiroman endgültig zum Gesellschaftsroman auf, den man mit dem gleichen wohligen Behagen liest wie einen französischen oder russischen Wälzer aus dem 19. Jahrhundert. Man wärmt sich am Leid des fröstelnden Personals.

Auch der schwedischen Polizeipsychologe Sebastian Bergmann passt erst einmal ins Bild. 2004 hat er Frau und Kind bei dem Tsunami vor der Küste Thailands verloren und versucht seitdem, zurück ins Leben zu finden. Die Hauptfigur in Michael Hjorths und Hans Rosenfeldts Krimi „Der Mann, der kein Mörder war“ (Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, Rowohlt, Reinbek 2011, 587 S., 14,95 €) hat das Schicksal schwer getroffen. Mitleid aber hat man mit ihm nicht, denn er ist leider auch – excuse my Swedish! – ein Komplettarschloch: überheblich, arrogant, geradezu bösartig aggressiv. „Den meisten Menschen geht es ohne Sebastian in ihrem Leben besser“, sagt seine Mutter, und bei der Reichspolizei in Stockholm legt niemand Wert darauf, noch einmal mit ihm zusammenzuarbeiten. Als es in seiner Heimatstadt Västerås zu einem Mord an einem Schüler kommt, drängelt er sich trotzdem noch einmal ins Team – zum Entsetzen seiner Kollegen.

Man merkt, dass Hjorth und Rosenfeldt Drehbuchautoren sind. Das Fernsehen ist heute das Krimi-Leitmedium. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis die exzentrischen, dezidiert unsympathischen Charaktere aus US-TV-Serien wie „The Closer“ oder „Dexter“ Einzug in die Literatur halten. Damit ist „Der Mann, der kein Mörder war“ unter den Schwedenkrimis auf jeden Fall das Trendprodukt der Stunde. Und Hjorth/Rosenfeldt haben auch noch eine Reminiszenz an die Generation der Großeltern eingebaut. Eine der Figuren im Schatten von Sebastian Bergmann ist Haraldsson, ein verheerend inkompetenter Provinzpolizist. Er ist das getreue Abbild von Kristansson und Kvant, den beiden stinkfaulen, trotteligen Streifenbeamten, die bei Sjöwall und Wahlöö einen Einsatz nach dem nächsten vermasseln. Auch ein Grund, diese Romane noch einmal zu lesen.

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