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Katharina Constanti ist Violetta in Stralsund

© Peter van Heesen  / Peter van Heesen 

Verdis „La Traviata“ in Stralsund: Lieben und Leiden einer Sexarbeiterin

Sandra Leupold inszeniert „La Traviata“ am Theater Vorpommern, Sopranistin Katharina Constanti beeindruckt durch künstlerischen Mut.

Sie singt, als ginge es um ihr Leben. Das Publikum weiß nicht, dass hinter der Bühne schon eine zweite Sängerin bereit steht - für den Ernstfall, sollte die Stimme der Traviata vorzeitig sterben. Denn drei Tage vor der Premiere brachte die Hauptdarstellerin Katharina Constanti keinen Ton mehr heraus. Wie grausam, nachdem die Premiere wegen Corona mehrfach verschoben werden musste.

Haupt- und Generalprobe fanden ohne die Hauptperson der Oper statt, am Premierenabend aber wagt sich Katharina Constanti ins gnadenlosen Scheinwerferlicht des Stralsunder Stadttheaters. Möglich, dass die Stimme nach drei Minuten wieder versagt. Aber dann wird es intensiv, fast unerträglich. Mit aller Wucht und Zartheit bringt die Sängerin ihre Figur zum Leuchten, bis zu Violettas letzten Atemzug.

Szene aus Verdis La Traviata“ mit Katharina Constanti
Szene aus Verdis La Traviata“ mit Katharina Constanti

© Peter van Heesen  / Peter van Heesen 

Dass es trotz Glanz und Glitter ein ungemütlicher Opernabend bleibt, dafür sorgt die Berliner Gastregisseurin Sandra Leupold. Die „Faust“-Preisträgerin ist eine akribische Partiturenleserin. Sie hinterfragt Aufführungstraditionen und Gewohnheiten des Opernbetriebs radikal - wie bei ihren Produktionen in Lübeck, Heidelberg, Graz oder eben Stralsund zu erleben ist, nur nicht in ihrer Heimatstadt.

Verdi wollte, dass seine Oper in der Gegenwart spielt

Was fängt sie mit einer Oper an, die nie so inszeniert werden konnte, wie der Komponist es wollte? 1853 in Venedig uraufgeführt, sollte das Stück ausdrücklich in der aktuellen Gegenwart spielen. Mutig stellte Verdi eine Außenseiterin der Gesellschaft ins Zentrum und hielt einer bigotten bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor.

Die Inszenatoren aber entschärften den Stoff, indem sie die Handlung in die Vergangenheit verlegten. Erst im 20. Jahrhundert spielte man „La Traviata“ vermeintlich werktreu in Kulissen des 19. Jahrhunderts, da aber war die Welt der Pariser Kurtisanen schon Geschichte. Leupolds Inszenierung sucht nun nicht neuerlich eine angeblich passende Zeit- oder Gesellschaftsebene für die Handlung, sondern legt die Oper selbst auf den Seziertisch.

Es beginnt mit einer wüsten Choreografie auf nahezu leerer Bühne, so hysterisch wie Verdis Musik. Eine Mischung aus Kindergeburtstag, Karneval und Saturnalien, mit Chorist:innen in den schrägsten Verkleidungen (Kostüme: Jochen Hochfeld), die den Mangel eines gebauten Bühnenbildes verschmerzen lassen. Die Anführerin der Feierhorde ist Violetta, im Singen und Tanzen wechselt die Partykönigin ständig Perücken und Kleider.

Violetta wendet sich direkt ans Publikum

Ihr blasser Verehrer Alfredo passt eigentlich nicht in dieses Treiben. Der verliebte Junge aus gutem Hause will nicht Kunde, sondern Geliebter der Sexarbeiterin sein. Sein Werben weckt eine verschüttete Sehnsucht, mit der sich Violetta direkt an das Publikum wendet. Während ihrer Arie am Ende des ersten Aktes verlässt sie die Bühnenraum, kommt langsam bis vor den Orchestergraben, ein erster emotionaler Höhepunkt des Abends, stürmisch bejubelt.

Im zweiten Akt verwandelt Violetta sich dann ganz in die ungeschminkt liebende Frau, die zugunsten des Glücks einer anderen auf Alfredo verzichtet – und sich deswegen brutalstmöglich demütigen lassen muss. In den Pausen findet das Publikum in den Foyers Luftschlangen, Partyhütchen und leere Sektflaschen vor, Spuren eines Festes, das die Statisterie während des dritten Akts auf den Gängen lautstark feiert, während drinnen Violetta dem Tod entgegen kränkelt.

Für die Einsamkeit der Sterbenden baut die Lichtregie ein bewegendes Schlussbild: Violetta wird unmerklich von einer Öffnung im schwarzen Bühnenboden verschluckt, verschwindet im Nichts, während die Überlebenden diesseits des Orchestergrabens stehen, auf der Seite des Publikums.

Das Philharmonische Orchester Vorpommern unter Leitung von Florian Csizmadia klingt in dem 500-Plätze-Theater von Stralsund trockener und schärfer, als Berliner Ohren gewohnt sind. Das passt zum spröden Charme der Inszenierung. Statt falschen Schmelz hört man wie unter einer Lupe die Schroffheiten und Stimmungswechsel von Verdis Musik. Maciej Kozłowski ist in seiner Reglosigkeit ein überzeugender Vater Germont, den sein unreifer Sohn Alfredo (Costa Latsos) wie ein Trabant umkreist. Eine tolle Ensembleleistung, überglänzt von einer Violetta, die an diesem Abend alle wunschlos glücklich macht.

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