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Held der Einheit. Garibaldi mit Personifikationen von Venedig und Rom.

© akg-images / Electa

150 Jahre Einheit: Verdis Oper, Garibaldis Schuh

Vor 150 Jahren gewann Italien seine Einheit. Bis heute gibt es Streit um dieses Jubiläum. Nun hat Ricardo Muti bei der Aufführung von Verdis "Nabucco" in der Oper von Rom ein hörbares Zeichen gesetzt.

Bis vor wenigen Wochen wussten die Italiener noch nicht, ob der 17. März ein (arbeitsfreier) Nationalfeiertag sein oder in letzter Minute gekippt würde. Am 17. März 1861 wurde Viktor Emanuel von Savoyen zum König von Italien ausgerufen. Der 150. Jahrestag der staatlichen Einheit Italiens sollte eigentlich doch ein Grund zum Feiern sein. Doch kaum ein Thema hat zu so heftigem Streit geführt wie dieses Jubiläum.

Obwohl fast 90 Prozent der Italiener für die Einheit sind und sie auch gern feiern würden, gab es Aufschreie und Drohungen aus den unterschiedlichsten Lagern und Landesteilen: von den Separatisten der Lega Nord; aus Südtirol, wo der Bozener Landeshauptmann im Namen der „österreichischen Minderheit“ seinen Ausstieg aus den Feierlichkeit erklärte; aus dem Süden, wo viele sich seit jeher durch den Nationalstaat überfremdet, ja kolonisiert fühlen – und nicht selten die Zugehörigkeit zur lokalen Mafia als Akt des Widerstandes begreifen; vom Arbeitgeberverband und Teilen der Gewerkschaften; nicht zuletzt aus den Blogs und sozialen Netzwerken.

Nur von Berlusconi: nichts. Zu beschäftigt, hieß es. Schließlich rang sich die Regierung zu einer Entscheidung durch. Nationalfeiertag ja, aber nur in diesem Jahr. Schließlich gibt es schon den 25. April, den Tag der Befreiung von Nazi-Faschismus und deutscher Besatzung 1945, auch er politisch umstritten.

Nun hat Ricardo Muti bei der Aufführung von Verdis „Nabucco“ in der Oper von Rom ein hörbares Zeichen gesetzt. Nicht nur protestierte er von der Bühne aus gegen die Kürzung der öffentlichen Gelder im Kulturbereich, er forderte beim Gefangenenchor „Va’ pensiero“ das Publikum zum Mitsingen auf. Für die Kunst. Das ließ sich nicht lange bitten, erhob sich von den Plätzen und sang mit. „Nabucco“ wird am heutigen Donnerstag für deutsche Zuschauer auf Arte übrigens live aus dem Teatro dell’Opera im Rom übertragen.

Der Themenabend „Viva Italia!“ des Senders beginnt mit dem ersten Teil von Mario Martones Kinofilm „Die Fahne der Freiheit“, in dem anhand des Lebens dreier junger Italiener die Geschichte des Risorgimento erzählt wird. An dem Film hat der Intendant des Turiner Theaters sieben Jahre lang gearbeitet. Trotz seiner dramaturgischen Biederkeit wurde das 180-Minuten-Historienepos bei der Biennale von Venedig von der italienischen Kritik als „politischer Meilenstein“ gefeiert weil es ein differenziertes Bild der Befreiungsbewegung zeichne, .

Turin, ein paar Jahre lang Hauptstadt des italienischen Nationalstaates, steht ganz im Zeichen des Jubiläums und bietet ein in Qualität und Kompaktheit beeindruckendes Programm aus Theater, Kino, Kongressen, großen Ausstellungen, zum Beispiel „Fare gli Italiani“. Der Titel zitiert den ersten Ministerpräsidenten Massimo d’Azeglio: „Nachdem Italien geschaffen ist, muss man nun daran gehen, die Italiener zu schaffen“, eine intelligent konzipierte Multimediaschau in den spektakulären Officine Grandi Riparazioni zu Geschichte und Identität der Italiener von 1861 bis heute.

Auch in Rom gibt es ein historisches, an Objekten und Memorabilien reiches Risorgimento-Museum, in einem Seitenflügel des Vittorianums, ein beliebtes Ausflugsziel für die ganze Familie. In düsteren, schlecht ausgeleuchteten Marmorfluren, in einer angestaubten, heillos überfrachteten Präsentation finden sich bei näherem Hinsehen wahre Schätze: der in Aspromonte von einem Schuss durchlöcherte Stiefel Garibaldis nebst aus der Wunde gezogener Kugel, Büsten, Säbel, ruhmreiche Fahnen, Tagebücher.

Und noch einen Gedenkort hat Rom zu bieten, fast ein Geheimtipp: das wegen Baufälligkeit geschlossene Museo dei Bersaglieri an der Porta Pia, wo am 20. September 1870 die Bersaglieri des Generals Lamarmora eine Bresche in die Stadtmauer schlugen, in Rom einmarschierten und die Stadt mit dem neun Jahre zuvor proklamierten Königreich vereinigten. Rom wurde Hauptstadt Italiens. Papst Pius IX., des Quirinals verwiesen und der weltlichen Macht beraubt, zog sich für den Rest seines Lebens beleidigt in den Vatikan zurück. Wenn man an der Museumspforte klingelt, lässt einen der freundliche Hausmeister gern einen Blick in dieses ungewöhnliche kleine Militärmuseum tun.

Einen Blick auf die frappierenden politischen Parallelen der Geschichte Italiens und Deutschlands warf kürzlich eine Tagung des Italienischen Kulturinstituts Berlin und der Humboldt Universität. Der italienische Historiker Gian Enrico Rusconi analysierte vergleichend die asymmetrischen Führungsstile von Cavour und Bismarck als „zwei Gesichter des Cäsarismus“: Cavour als überzeugter Liberaler, Bismarck monarchisch-autoritär.

Der Historiker Wolfgang Schieder arbeitete die historische Verspätung der Nationsbildung von Deutschen und Italienern als entscheidende, wenn auch nicht unvermeidliche Voraussetzung dafür heraus, dass beide im 20. Jahrhundert die „Fundamentalkrise des Faschismus“ durchzumachen hatten. Eine Ursache sieht er in beiden Fällen darin, dass die Prozesse zur Nationalstaatsfindung – die nationale Identitätsfindung, die politische Verfassungsbildung und der ökonomische Strukturwandel – zu Konfliktkumulierung führten, weil sie zu schnell, innerhalb nur zweier Generationen bewältigt werden mussten.

In Italien wird von vielen Seiten eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte gefordert. In einem noch unveröffentlichten Manuskript schreibt der prominente Publizist Corrado Augias: „Italien hat das Jubiläum der Einheit inzwischen dreimal gefeiert. Das erste Jubiläum 1911 mit uneingeschränkter Freude über ein endlich vereintes Land. Das zweite Mal 1961 mitten im Wirtschaftswunder. Das dritte Mal 2011, vielleicht das problematischste. Die Wirtschaftskrise hat zugeschlagen, viele junge Leute haben Zukunftsangst, die Regierung ist der Situation nicht gewachsen. Zahlreiche Publikationen rekonstruieren die Geschichte des Risorgimento. Erstmals gibt es massive Kritik. Die Gegner der Einheit stammen entweder aus dem Süden, fühlen sich von den Savoiern annektiert. Oder sie stammen aus den Reihen der Kirche.“

Roberto Saviano thematisiert das Schicksal der Briganten, die als Partisanen gegen die „Einverleibung“ Siziliens durch Piemont kämpften. Er sieht die Verdrängung einer Debatte über die ganze Wahrheit des Risorgimento als eine der Ursachen für den schwelenden Nord-Süd-Konflikt: „Ich bin ein Italiener aus dem Süden und zutiefst in meiner Heimat verwurzelt. Gleichzeitig erkenne ich mich in der Republik Italien wieder. Ich bin ein Verfassungspatriot. Schon Giuseppe Mazzini beschwor ‚eine unverletzliche, freie Republik‘. Daran glaube ich. Aber leider sehe ich, dass wir es nicht mehr schaffen, unser Einigungsjubiläum als innerlich geeinigtes Land zu begehen.“

Sabine Heymann

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