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Chorleiter Frank Markowitsch, Cellist Ben Mönch und Michael Riedel, Dirigent des Sinfonieorchesters.

© DAVIDS/Sven Darmer

Verdis Requiem: Eine Orgel für Theresienstadt

Das Junge Ensemble Berlin ist ein engagiertes Laienorchester. Mit Verdis "Messa da Requiem" erinnert es an den Holocaust. Bei dem Konzert am Sonntagabend wirkt auch Sopranistin Annette Dasch mit.

Reinickendorf? Nicht gerade die hippste Ecke der Stadt. Trotzdem ist dort vor 55 Jahren etwas entstanden, was die musikalische Sozialisation tausender Berliner geprägt hat und bis heute prägt: Das Junge Ensemble Berlin, 1958 gegründet vom Leiter der Musikschule Reinickendorf, Herbert Müntzel. Rund 200 junge Musiker und Musikerinnen sind ständig dabei, alles Laien. „Ich habe gar nichts gegen den Begriff ,Amateur’, sagt Frank Markowitsch, „denn der stammt von amare, lieben.“ Markowitsch, gebürtiger Badener und Spezialist für Alte Musik, leitet den Chor, eines der drei Standbeine des Jungen Ensembles neben dem Sinfonie- und dem Blasorchester.

Jetzt steht das nächste große Projekt bevor. Am Sonntag ist Holocaust-Gedenktag, am 27. Januar 1945 hat die Rote Armee Auschwitz befreit. Das Junge Ensemble wird deshalb am Wochenende Verdis „Messa da Requiem“ in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg aufführen, unter anderem mit Annette Dasch als Sopran. Wie geht das zusammen – das Werk eines Komponisten aus dem katholischen Italien in einer protestantischen Berliner Kirche zur Erinnerung an den Holocaust, in dem vor allem Juden umkamen? Der Schlüssel ist ein anderes KZ, Theresienstadt, heute Terezín, im Norden Tschechiens. Erbaut unter den Habsburgern als Festungsstadt gegen die Preußen, verwandelten die Nazis den Ort in ein „Vorzeigelager“, wo sie vorführen wollten, wie human die Insassen behandelt würden. In Wahrheit steckte dahinter natürlich perfide Unmenschlichkeit. Das rege Musik- und Theaterleben des Lagers diente vor allem dazu, die Gefangenen nicht an Aufstände denken zu lassen.

Auch Verdis Requiem wurde hier aufgeführt – einigen Quellen zufolge sogar 15 Mal. Eigentlich ist es ein Riesenwerk, Dirigent Rafael Schächter musste sich mit einem Klavier begnügen. Dafür hatte er mehrere hundert Sänger zur Verfügung. Die schmetterten der SS im Publikum die letzten Worte des Werks, das „Libera me“, ins Gesicht: „Errette mich, Herr, vom ewigen Tode ... Wenn du erscheinen wirst / die Menschen durch Feuer zu richten.“ Die Nazis dürften kaum verstanden haben, dass ihnen hier ihr Ende angekündigt wird, für sie sangen die Juden ihr eigenes Requiem. Die Aufführungen fanden unter kaum vorstellbaren Bedingungen statt: Drei Mal wurde der Chor ausgetauscht, weil die Sänger nach Auschwitz abtransportiert worden waren. Schächter selbst befand sich auf jenem berüchtigten, 1000 Personen umfassenden Osttransport vom 16. Oktober 1944, mit dem auch Viktor Ullmann, Gideon Klein und Pavel Haas in dem Tod fuhren – allesamt tschechische jüdische Komponisten, die heute immer noch vergleichsweise unbekannt sind, obwohl sich unter anderem Simon Rattle, Seiji Ozawa oder Vladimir Ashkenazy für die Aufführung ihrer Werke eingesetzt haben. Auch die Berliner Staatsoper erinnert an Ullmann. Ab Sonnabend zeigt sie eine Neuinszenierung seiner Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“.

Das Junge Ensemble Berlin will mit Verdis Requiem auf seine Weise an den Holocaust erinnern, aber auch handfeste Benefizarbeit leisten. In Zusammenarbeit mit der Hans-Krasa-Stiftung, gegründet von der Berlinerin Gaby Flatow, sollen die Erlöse der beiden Konzerte in die Wiederherstellung der Orgel in der Garnisonskirche von Theresienstadt fließen. „Die Kirche war das einzige Gebäude im Lager, das die Nazis nicht verwendet haben“, erzählt Frank Markowitsch.

„Unser Kulturwille ist unserem Lebenswillen adäquat“, soll Viktor Ullmann gesagt haben – was vielleicht auch das Paradox auflöst, dass jüdische Musiker in Theresienstadt ausgerechnet eine katholische Totenmesse aufführten. Verdis „Messa da Requiem“, eine der großen Requiem-Vertonungen neben der Mozarts, Berlioz’ und Brahms’, ist eben fester Bestandteil der Musikgeschichte, der sich auch jüdische Musiker zugehörig fühlten. Und es ist ein Werk, dem selbst schon der Protest, der Zweifel an der Kirche eingeschrieben ist: Als eines der wenigen geistlichen Stücke des Atheisten Verdi ist es keinem starken Glauben entsprungen, sondern aus rein persönlichen Motiven entstanden: Um an den Tod Gioachino Rossinis und des Dichters Alessandro Manzoni zu erinnern. Und es ist in seiner Dramatik, seinem Operngestus, einem sakralen Raum eigentlich unangemessen. „Trotzdem wollte Verdi, dass es ausschließlich in Kirchen aufgeführt wird – worin ja auch eine Kritik an der Institution steckt“, erklärt Frank Markowitsch. „Wir haben uns die Gethsemanekirche ausgesucht, weil sie für Berliner Verhältnisse doch eine Kirche mit starker Historie ist, hier fanden die Fürbitten und Mahnwachen während der Wende statt.“

Das Orchester des Jungen Ensembles hat eine Stärke von rund 90 Musikern zwischen 16 und 40 Jahren. Ben Mönch ist einer von ihnen. Der 31-Jährige gebürtige Wilmersdorfer spielt seit seinem siebten Lebensjahr Cello. Eigentlich ist er Jurist. „Ich wollte das so. Die Musik sollte ein Hobby bleiben“. Damit ist er ziemlich repräsentativ für die Mitglieder des Jungen Ensembles, die aus Leidenschaft mitmachen, zugleich aber einen Hauptberuf haben. Nur die Stimmführer sind Profi-Musiker, Konzertmeister Wolfgang Herrmann etwa arbeitet an der Komischen Oper.

Mitmachen kann jeder, der ein bisschen Erfahrung mitbringt. Neue Teilnehmer werden erst mal zu Proben eingeladen – „und wenn es nicht passt, dann sagen wir das auch“, betont Michael Riedel, seit 15 Jahren Leiter des Orchesters. Der gebürtige Berliner hat als Kind noch Herbert Müntzel, den Ensemble-Gründer, kennengelernt. „Ich erinnere mich an einen unglaublich temperamentvollen, aufbrausenden Mann“, erzählt er. Inzwischen ist das Junge Ensemble übrigens von Reinickendorf nach Mitte gezogen. Das ist dann doch ein bisschen hipper.

Gethsemanekirche, Stargarder Str. 77, Sonnabend, 26.1., 20 Uhr, Sonntag, 27.1., 18 Uhr. Beide Konzerte sind ausverkauft.

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