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© AFP

Vereinte Nationen: Die Psychodiplomaten

Wie die UN jetzt mit Hilfe von Therapeuten Weltkonflikte zu lösen versuchen.

Von Caroline Fetscher

An einer französischen Mädchenschule in Ägypten, es ist viele Jahrzehnte her, bekam Afaf Mafouz ihre erste Lektion zum Thema Vorurteil und Paranoia. Arglos malte das arabische Kind damals mit einem grünen Stift Buchstaben in ihr Schulheft. Der katholischen Nonne war das ein Dorn im Auge. „Grün“, schrie sie die Schülerin an, sei „die Farbe des Islam“. Und die Lehrerin schlug auf sie ein. Keine Schülerin, rief sie, solle je wieder einen solchen Stift verwenden.

Afaf Mahfouz lernte dennoch weiter, ihr Leben lang. Die junge Frau aus einer aufgeklärten sunnitischen Familie studierte Rechtswissenschaften, promovierte, unterrichtete an der Universität Helwan University in Kairo und an der Georgetown University in Washington. Außerdem absolvierte sie eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin. Jahrelang setzte sie sich in der arabischen Welt für Frauenprojekte ein, sie gehörte zu den Organisatorinnen der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen 1995 in Peking. Heute sagt die in den USA lebende, zarte ältere Dame mit dem erstaunten und dabei aufmerksamen Blick von sich selbst: „Ich bin eine Weltbürgerin.“

Als Kosmopolitin konzentriert sich ihre Arbeit inzwischen auf ein ganz besonderes Komitee, das hinter den Kulissen der Weltpolitik auf diese einwirkt und von dem die wenigsten Zeitgenossen je gehört haben. Mahfouz leitet das aus 30 Analytikern bestehende „Komitee zu den Vereinten Nationen“ (CUN) der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA), der weltweit größten Organisation ihrer Art.

Am Donnerstag berichtete Mahfouz auf dem Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV), der – zum ersten Mal seit 1922 – wieder in Berlin tagte, ihren Kolleginnen und Kollegen von der Arbeit, die es zu leisten gilt, wo die Erkenntnisse über das Unbewusste und dessen massiven Einfluss auf unser Handeln noch kaum eine Rolle spielen. Indes können wir, davon sind Mafouz und ihre Mitstreiter überzeugt, weder Terror und Hass noch Fanatismus und Fundamentalismus, Gewalt in Familien und zwischen Staaten ohne Kenntnis dieser Prozesse verstehen – und damit verhindern.

Die UN und das Unbewusste? Ein offener Diskurs über die Auswirkungen von infantilen Ängsten, von generationenlang gehegten Feindbildern oder Gruppennarzissmen, Sadismen und Rivalitäten auf die Weltpolitik? Allerdings erscheint die Kombination UN und Analyse kühn, nahezu utopisch. Psychologie und Diplomatie scheinen wie Feuer und Wasser einander auszuschließen. Denn die Vereinten Nationen sind, bisher, eine gigantische internationale Kompromissmaschine, die zwischen 192 heterogenen Staaten vermitteln soll: demokratischen und prädemokratischen, reichen und armen, säkularen und nichtsäkularen. Im Aussprechen von Wahrheiten hält sich dieser Apparat zurück. Malträtiert ein Staat auf der Erde seine Untertanen, erklären Diplomaten der Vereinten Nationen, die Lage im Lande Ypsilon sei „bisweilen problematisch“. Schmuggelt Ypsilon ungeniert Waffen, Bombenleger oder Geiselnehmer über die Grenze, merken sie an, das Land sei „nicht hinreichend kooperativ“ bei Friedensbemühungen. Gut, das mag parodistische Übertreibung sein, doch so ähnlich klingt, vor allem in den Ohren der Opfer, die Rhetorik der Diplomaten. Wir hören sie dieser Tage wieder überall, man denke nur an den Fall Darfur im Sudan.

Die „Vereinten Nationen“ sind alles andere als kohärent. Sie ähneln eher einem Flickenteppich, für den die Charta der Menschenrechte zwar das Grundgewebe abgeben soll, doch in der wirren Wirklichkeit der Welt häufig keine Entsprechung findet. Bisher haben sich zum Beispiel gerade mal 18 dieser 192 UN-Mitglieder in ihrer nationalen Gesetzgebung zum Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung verpflichtet. Deutschland tat das nach zähem Ringen im November 2000, zuletzt im Mai 2007 in Neuseeland.

Differenzen in dieser Debatte werden gern beschönigt mit Formulierungen wie „kulturell unterschiedliche Erziehungsstile“ oder „traditionelle Familienstrukturen“. In Wahrheit geht es um imaginierte Ansprüche auf den Körper des Kindes, der unter anderem als Besitz und Blitzableiter, Sündenbock und Sexobjekt eingesetzt wird.

In diesem, diplomatisch ausgedrückt, wenig günstigen Klima setzen Afaf Mahfouz und ihre von dem bekannten Analytiker Otto F. Kernberg gegründete Lobbygruppe, deren Mitglieder unter anderem aus den USA, Israel, Spanien und mehreren lateinamerikanischen Ländern stammen, bei den Vereinten Nationen trotzdem wichtige Änderungen durch. Zu Hilfe kommt ihnen dabei der offizielle Beraterstatus beim „Economic and Social Council“ (Ecosoc) der Vereinten Nationen, den das Komitee nach langen Auseinandersetzungen schließlich 1998 erhalten hat.

„Wenn wir nach Dutzenden von Konsultationen durchsetzen, dass in dem Text der UN-Kinderrechtskonvention nicht nur das physische, sondern auch das psychische Wohl der Kinder als Zielvorgabe genannt wird, dann ist das ein ziemlicher Erfolg“, erklärt Mahfouz erfreut. Begriffe wie „Familienterrorismus“ und „Familiendiktatur“ prägte der Analytiker Helm Stierlin. Sie weisen darauf hin, dass die Saat der Gewalt im Privaten gesät wird, dort, wo traumatisierte Kinder anstelle von Vertrauen Misstrauen lernen und sich zugleich, wie Psychoanalytiker wissen, mit dem Aggressor identifizieren, um ihre Ohnmacht zu verdrängen. Im späteren Leben projizieren sie diese inneren Konflikte auf andere: „Feinde“, „Fremde“, Nachbarländer, Minderheiten, Ausländer, nur um nicht die eigenen Eltern zu entwerten, die das Kind als „gute Eltern“ fantasieren muss, um am Leben zu bleiben.

Selbst wenn der Widerspruch kaum größer sein könnte zwischen der Intimität des Analysezimmers, in dem Diskretion und Freiheit der Rede zugesichert werden, und einer internationalen Arena, wie sie die Vereinten Nationen darstellen, sieht Afaf Mahfouz eine entscheidende Parallele: das Sprechen. „Auch die UN“, sagt sie, „bieten schließlich einen Raum an, Vorstellungen und Differenzen mit Worten anstatt Taten zu verhandeln.“

Anlässlich von Freuds 150. Geburtstag bot das Komitee 2006 im New Yorker Hauptquartier der UN einen Workshop an, der UN-Mitarbeitern vor Augen führte, wie viel sozialer Sprengstoff darin liegt, wenn Familien, Clans, Gesellschaften ihre Traumata tabuisieren. Aus den „Schweigekomplotten“, dem Mangel an Symbolen, entstehen Konflikte, die als gespeicherter, aber unbenannter Hass von einer Generation an die nächste weitergereicht werden und die für Kriege, Folter und Rassismus entscheidend sein können, wie der IPA-Vorsitzende Cláudio Laks Eizirik ausführte.

Der aus Indien stammende leitende UN-Beamte Shashi Tharoor erinnerte auf dieser Freud-Tagung in New York daran, dass auch UN-Diplomaten bisweilen gewitzte Psychologen sind, „ohne dass sie es wissen“.

Als der afroamerikanische UN-Gesandte Ralph J. Bunche, Harvard-Absolvent und Weggefährte von Martin Luther King, 1949 den Streit um Palästina zwischen Ägypten und Israel schlichten sollte, lud er beide Parteien ins Hotel des Roses auf der „neutralen“ Insel Rhodos ein. In der Freizeit gab es nur Tischtennis und Billard, wobei Bunche jeden Gegner schlug und sich die Streitenden gegen ihn verbündeten. Zudem war für miserable Küche gesorgt, so dass sich alle Delegierten nach einer baldigen Einigung sehnten. Zur Feier des Abkommens ließen die Ägypter ein Festessen aus Kairo einfliegen. In das Lachen der anwesenden Analytiker, deren „jüdische Wissenschaft“ in weiten Teilen der Welt noch beargwöhnt wird, mischte sich, wiewohl seufzend, eine Portion Hoffnung auf die künftige Anerkennung ihrer Botschaft.

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