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Kultur: Vergessen und wieder vergessen

"Monumente des Größenwahns" - eine Ausstellung von Speer-Fotografien im Schloß CorveyVON MICHAEL S.CULLEN"Corvey" ist eigentlich eine Abtei und kein Schloß, und "Monumente" sind eigentlich große Klötze, die an Menschen und Taten erinnern - und nicht erträumte Monolithe, die, wenn sie überhaupt gestanden haben, nicht mehr existieren, es sei denn in Bildern.

"Monumente des Größenwahns" - eine Ausstellung von Speer-Fotografien im Schloß CorveyVON MICHAEL S.CULLEN"Corvey" ist eigentlich eine Abtei und kein Schloß, und "Monumente" sind eigentlich große Klötze, die an Menschen und Taten erinnern - und nicht erträumte Monolithe, die, wenn sie überhaupt gestanden haben, nicht mehr existieren, es sei denn in Bildern.So gesehen enthält der Titel der Ausstellung "Monumente des Größenwahns" im Schloß Corvey bei Höxter mehrere Mißverständnisse; dafür aber sprechen die ausgesuchten Stücke eine klare und deutliche Sprache. Man könnte glauben, daß 52 Jahre nach Ende des Krieges keine unbeleuchtete Ecke dieser sechs Jahre, mit dem Vorspiel sogar zwölf Jahre deutscher Geschichte übrig geblieben ist.Aber mit zunehmender Entfernung gewinnt man den umgekehrten Eindruck: immer bewußter wird einem, wieviel es noch zu entdecken gibt; zuletzt waren es die unabgeschlossenen Kapitel über Beutekunst und die haarsträubenden Geschichten über "Totengold" - grausames Wort, grausame Tat.Da kann man auch die Geschichte der nationalsozialistischen Stadt- und Raumplanung nicht mehr ausklammern.Rechtzeitig kommt da eine kleine Ausstellung bei Höxter, die ungefähr 150 Fotos von Albert Speers Plänen, Modellen und Bauten für "Germania" zeigen - so hätte Berlin ab 1950 benannt werden sollen. Ende 1943 ließ Hitler auf Anraten Speers und seines wichtigsten Mitarbeiters, Rudolf Wolters, den "Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte" einrichten.Während die den Städten zugeteilten Architekten für die große Zeit nach dem Krieg planten, freuten sich manche klammheimlich, daß britische und amerikanische Bomberpiloten ihnen das Planen "erleichterten".Als der Krieg Berlin näher kam, organisierte Wolters drei Ausweichquartiere, darunter die ehemalige Reichsabtei, nunmehr Schloß Corvey.Es ist wenig darüber bekannt, wer dort saß, Akten gibt es nicht.Bekannt ist nur, daß von etwa Mitte bis Ende März 1945 alles zusammenbrach; der Stab löste sich in Luft auf. Kurz nach Kriegsende entdeckte der Schloßherr, Fürst zu Ratibor und Herzog von Corvey, rund 800 Fotos, die der Arbeitsstab "vergessen" hatte.Diese wurden verpackt und weggesperrt und noch einmal vergessen.1996 entdeckte Holger Rabe die Fotos, seines Zeichens Höxters Stadtarchivar und stellvertretender Leiter des Museums Höxter-Corvey.Er konnte den Schloßherrn von deren Bedeutung überzeugen. Wenn es je in Corvey Modelle gegeben hat, sind sie spurlos verschwunden, und es ist ziemlich wahrscheinlich, daß in Corvey nicht viel mehr getan worden ist als Fotos zu ordnen.Die uns bekannten Modelle, die Speer in Berlin aufstellen ließ, befanden sich niemals in Corvey.Und obwohl Corvey viele große Räume hat, zeigen die Fotos nur etwa 20 Prozent des vorgefundenen Bestandes - nicht die Pläne des Wiederaufbaustabs, sondern nur die Berlinpläne von Speer, was schade ist. Einige Kritiker sprachen von einer kleinen Sensation.Sie ist einigermaßen bescheiden, denn viele Fotos sind schon lange bekannt, allerdings nicht in Originalabzügen.Da ist die große Halle des Volkes im Spreebogen mit dem winzigen Reichstag, klein wie eine Außentoilette.Da ist die Planung für die Hochschulstadt am Ende der Ost-West-Achse Grunewald, da sind Fotos von der Ost-West-Achse kurz vor der Einweihung zu Hitlers 50.Geburtstag 1939 und Luftaufnahmen vom Pariser Platz sowie Fotos von den Modellen des damals von den Nazis beabsichtigten freigelegten Brandenburger Tores.Und ein paar weniger bekannte Fotos - von der monströsen Erweiterung des Zeughauses von Wilhelm Kreis etwa und von einem von Friedrich Tamms entworfenen grotesk-gigantischen Innenministerium, das an die Festung von Mailand erinnert. So aufregend die Ausstellung auch ist, so macht sich etwas Kleinmut bemerkbar, denn was fehlt, was man "getrost mit nach Hause nehmen könnte", ist ein Katalog, der diese Fotos sortiert, ordnet und für die Wissenschaft zugänglich macht.Dabei fehlt es nicht an Bauhistorikern, wie Wolfgang Schäche und Karl Arndt, von denen einige Texte in den Sälen zu lesen sind.Die Ausstellungsleitung berichtet, daß es Übernahmeangebote gibt, auch aus Berlin, wo sie gezeigt werden müßte.Wer auch immer die Ausstellung künftig zeigt, dem sei ans Herz gelegt, zum einen eine größere Auswahl an Fotos zu zeigen, und zum anderen einen ausführlichen Katalog zu drucken. Corvey bei Höxter (Westfalen), Schloß, bis 31.Oktober, täglich 9 - 18 Uhr.

MICHAEL S.CULLEN

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