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Kultur: Verhaltener Rausch

Wo der König Kunst kauft: Die Kunstmesse Arco in Madrid bietet auch 2007 Überraschendes

Von Daniel Völzke

Auf Madrids Straßen tobt der Karneval. Das behaupten zumindest die Plakate, die allerorten hängen. Auf dem Weg zum Messegelände im Norden der Stadt sieht man allerdings keine Massen, keine Masken. Auch auf Spaniens Messe für zeitgenössische Kunst ist es vorerst ruhig: An den Preview-Tagen der Arco fehlen die hysterischen Jagdszenen, die man von anderen Messen kennt. Die Besucher sind interessiert und konzentriert, schauen, reden. Karneval? Beinahe Museumsatmosphäre herrscht in den zwei Messehallen.

Ihren 25. Geburtstag hat die Arco im vergangenen Jahr gefeiert, die großen Veränderungen mit dem Umzug in neue Pavillons finden erst mit der kommenden Ausgabe statt. 2007 geht man unaufgeregt ans Werk. Zwar hat die Messe mit der Galeristin Lourdes Fernández eine neue Leitung. Doch allzu große Einschnitte riskiert die 46-Jährige noch nicht. Warum auch? Das Konzept stimmt: Ein breites Rahmenprogramm ergänzt den Handel, hunderte Sammler werden geladen, dem lateinamerikanischen Markt wird viel Raum gegeben, ein Gastland (diesmal Südkorea) setzt einen Schwerpunkt. Die spanische Messe ist beliebt; unglaubliche 200 000 Besucher kommen jährlich. Fast zu viele. So verlängerte Fernández die Vorbesichtigungszeit für professionelle Käufer auf zweieinhalb Tage. Für lärmende Video- und Audioarbeiten, die ohnehin wenig vertreten sind, hat sie zwischen all den weißen Wänden einen schwarzen Würfel geschaffen, in dem mehrere Galerien ihre bewegten Bilder zeigen.

Die meisten der 272 ausstellenden Galeristen aus 30 Ländern wissen das zu schätzen. Der Zürcher Händler Bob van Orsouw etwa, der zum dritten Mal teilnimmt, gerät sogar ins Schwärmen: diese breiten Gänge, diese besonnenen Sammler! Ein besonderes Merkmal der Arco ist der hohe Anteil an Käufern aus Institutionen. In Spanien schießen die Kunstvereine, Museen und Stiftungen mit dem Wirtschaftsaufschwung nur so aus dem Boden. Und die neue Messechefin, die einst auch die Manifesta leitete, wird zwischen kommerziellen und institutionellen Interessen vermitteln können. Schon jetzt gibt es Synergieeffekte zwischen den Museen und der Messe. Julian Opie etwa hat im Kunstmuseum CAC in Malaga eine viel beachtete Soloshow – und die fast zum Comic reduzierten Opie-Gesichter schauen gleich bei fünf Galerien die Besucher an. Bob van Orsouw war der erste, der rote Punkte neben die Arbeiten des Briten kleben konnte.

Meldungen von leergekauften Kojen fehlen indes in den ersten Tagen. Die Grande Dame unter den Madrider Galeristinnen, Helga de Alvear, hat nach zwei Tagen eine politische Fotoarbeit von Santiago Sierra für ein Museum reserviert. Axel Hüttes Naturidylle für 23 000 Euro wartet noch auf einen Käufer, ebenso wie der abgeblätterte Berliner Putz, den Frank Thiel in einer großformatigen Arbeit festhält (21 000 Euro).

Galerist Rudolf Kicken gibt sich trotz der Ruhe – oder gerade deshalb – gelassen. Immerhin hat er selbst schon zwei Fotografien erworben. So etwas wäre auf hektischeren Messen wie in Miami, Basel oder London nicht möglich. Die Galerie hat ihren Stand dann auch passend dem Thema Zeit gewidmet, von erhabenen Mondfotografien, die Maurice Loewe um 1900 aufnahm (je 2000 Euro), bis zur Collage von El Lissitzky, in dem er den Kopf seines Sohnes auf den Körper eines Mannes montiert (165 000 Euro). Auch das berühmte Foto eines sterbenden Milizionärs, das Robert Capa im spanischen Bürgerkrieg aufnahm, erzählt in diesem Land seine eigene Geschichte der Zeit (Capa-Abzüge 4500–15 000 Euro).

Hans Mayer wünscht sich hingegen mehr Geschwindigkeit: „Kaufentscheidungen fallen in heißerer Atmosphäre.“ Deshalb ist der Düsseldorfer Galerist, der seit 15 Jahren an der Arco teilnimmt, nicht glücklich mit der Verlängerung der Preview. Er offeriert eine düstere Arbeit von Gerhard Richter (650 000 Euro), die mit einer grauen Serie von Martin Kippenberger (600 000 Euro) und einem monochromen Warhol-Porträt von Dennis Hopper (120 000 Euro) korrespondiert. Ob der spanische König, der plötzlich an der Koje vorbeispaziert, mit seiner reduzierten Geste wohl auf dieses riesige Billboard zeigt?

Es sind solche Überraschungsmomente, die verhindern, dass die Gelassenheit auf der Arco in Langeweile umschlägt. Hier steht Etabliertes neben Experimentellem, Qualität neben Überflüssigem. Die spanischen Galerien zeigen viel Tàpies und Chillida, aber auch junge heimische Kunst, der man manchmal ihr fröhlich-unausgereiftes Herumtasten ansieht (beliebt: Filmprojektionen auf Wasserdampf). Einen ausgereiften Anfang legt dagegen die erst vor einem Jahr gegründeten mexikanische Galerie Hilario Galguera hin: Zu ihrem ersten Messeauftritt präsentiert sie eine Damien-Hirst-Wunderkammer. Über die anderen Aussteller hinweg ragt dessen berühmte, sechs Meter hohe Anatomiefigur „Hymn“ (sechs Millionen Euro). Und dann ist er mit einem mal da: ein Hauch von Jahrmarkt.

Arco ’07, Madrid, bis 19. Februar. Informationen unter www.arcospain.org.

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