zum Hauptinhalt
bernhard

© dpa

Verlage: Die Komödie des Geldes

Vor 20 Jahren starb Thomas Bernhard. Doch er lebt im Briefwechsel mit dem Verleger Siegfried Unseld.

Thomas Bernhard, der am 12. Februar 1989 in Gmunden im österreichischen Salzkammergut gestorben ist, wirkt plötzlich springlebendig. Das Wiener Burgtheater, wo laut Bernhards Testament eigentlich ebenso wie im Rest von Österreich, seiner Hassliebesheimat und himmlisch stinkenden, ewig braunen Weltkloakenhölle, kein einziges Bernhard-Stück mehr hätte aufgeführt werden sollen, spielt zum Todesfesttag „Der Schein trügt“; dazu gibt’s noch weitere Dramolette, Lesungen, Filme und eine DVD-Edition jener Wiener Bernhard- Aufführungen, die früher naturgemäß allesamt Peymann-Inszenierungen waren.

Fast versöhnlich stimmt da schon, und der Jubilar hätte sein homerischstes Gelächter angestimmt, wenn man hört, dass das Österreichische Theatermuseum es fertig bringt, seine Bernhard-Gedenkausstellung erst im November zu eröffnen. Schluss mit Tusch macht morgen hingegen der Direktor des Berliner Ensembles und zeigt zum unwiderruflich letzten Mal das ihm einst gewidmete Bernhard-Dramolett „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“. Darin fordert der Theaterdirektor seinen Lieblingsdramatiker beim Hosenkauf auf, „nicht nur Ihren halben Weltekel, sondern Ihren ganzen Weltekel“ in ein neues Stück zu packen: „Schreiben Sie so ein Stück Welttheater / daß es das Burgtheater zerreißt / so einen richtig grandiosen Weltschmerz, Bernhard / Schreiben Sie einen richtigen Welthammer“!

Hübsch ist Bernhards bisher letztes Buch. Die jetzt posthum erschienenen Aufzeichnungen „Meine Preise“ beschreiben mit allem Wonneschmerz und allen Ekelfreuden Bernhards Missvergnügen an öffentlichen Auszeichnungen. Doch ein Welthammer kommt erst jetzt. Es ist der Briefwechsel Thomas Bernhards mit seinem Suhrkamp- und Insel- Verleger Siegfried Unseld. Von Suhrkamp im Frühjahrsprogramm noch mit 900 Seiten angekündigt, hat sich der Band, so ist zu hören, inzwischen einschließlich der Kommentare auf 1400 Seiten ausgewachsen. Nun soll er in der zweiten Märzhälfte erscheinen.

Das wird ein Opus magnum, nicht allein Thomas Bernhards wegen. Nein, es dürfte ein literarisches Dokument, ja: Monument auch des Verlegers Siegfried Unseld werden. Nach dem, was uns vorliegt und was in Auszügen auf drei DVDs des Münchner Hörverlags bereits vorab herausgekommen ist, kann man Unselds Anteil an diesem die Jahre 1961 bis Ende 1988 umfassenden Austausch zwischen Autor und Verleger durchaus als eine fortgeschriebene Begründungsurkunde des Suhrkamp Verlages und seiner durch Unseld geprägten Buchkultur lesen.

Das klingt ungemein gewichtig. Aber dieser Briefwechsel liest sich zugleich ganz federleicht. Denn was die beiden Champions, jeder auf seine Weise ein Meister aller Klassen und Kassen, hier darstellen, ist eine wahre Comédie humaine. Wie von einem modernen Molière erdacht. Ein Misanthrop und ein Literatur- und Lebensliebhaber gehen hier aufeinander los und sind einander doch unrettbar verfallen, auch wenn es immer wieder ein Kampf ist. Ein Kampf nicht nur um Bücher, sondern ein Fight bis fast zum Schluss ums schnöde, schöne Geld.

Das Thema scheint so alt wie die Beziehung zwischen Autoren und Verlegern überhaupt. Schon Weimars Klassiker fochten ihre Scharmützel mit den Herren Göschen und Cotta – darüber hat Siegfried Unseld selber ein großes, verständnisvolles Buch geschrieben („Goethe und seine Verleger“). Schriftsteller, die mal Mimosen, mal Kotzbrocken sind (sehr grob gesagt, oftmals sind sie auch beides), Schriftsteller nörgeln fast notorisch an ihren Verlegern rum, heißen die nun Kurt Wolff, Bermann-Fischer oder Ernst Rowohlt und sie selber Kafka, Karl Kraus oder Thomas Mann. Trotzdem schließt dies Freundschaften zwischen Autor und Verleger, vor allem wenn’s um Alkohol und Frauen geht, nicht aus.

So glaubt man sich zunächst auf gesichertem Terrain. Doch etwas wie die Briefe zwischen Bernhard und Unseld hat man so noch nie gelesen. Dabei gibt es kaum Pikanterien oder persönliche Indiskretionen. Die große, schonungslose Enthüllung ist einzig die, wie unerbittlich, wie unwiderstehlich und mit welch unerschöpflicher Energie, Penetranz, Brutalität und dann auch wieder charmantester Schamlosigkeit hier ein Autor seinen Verleger mit immer neuen (Geld-)Forderungen nervt, foltert, erpresst und umgarnt.

Bisher galt der Schwabe Siegfried Unseld immer als ingeniöser Verleger – und Kaufmann. Er konnte auch überaus großzügig sein, so hat er in einem noch immer kaum bekannten Maß Autoren in Not mit großen Summen unterstützt, das galt nicht nur für Wolfgang Koeppen. Doch bei Verlagsverträgen schaute er, der 2002 gestorben ist, auch als Millionär auf den Pfennig. Thomas Bernhard aber, der sich als selber als nahezu Unbekannter Ende 1961 an ihn wandte und um ein Gespräch mit den Worten bat „Ich kenne Sie nicht, nur ein paar Leute, die Sie kennen. Aber ich gehe den Alleingang“, ihm konnte Unseld nur schwer widerstehen.

Nachdem Bernhards erster Roman „Frost“, trotz achtungsvoller Kritiken kein kommerziellen Erfolg, bei Suhrkamp erschienen war, kommt es Anfang 1965 zu einem frühen Treffen in Unselds mittlerweile legendärem Haus in der Frankfurter Klettenbergstraße (Bernhard: „ein bis zum Wahnsinn beziehungsvoller Straßenname für Sie“). Der Autor will „40 000 Mark“, in zwanzig Minuten. Später notiert Bernhard, dass Unseld nach Auskunft seiner Frau damals 40 Grad Fieber gehabt habe, er also, triumphierend, „für jeden Fiebergrad des Verlegers oder für jede halbe Minute des Verlegers tausend Mark“ gefordert habe.

Und so geht es weiter. Bernhard schreibt Buch um Buch und später Stück um Stück – und kämpft und feilscht um Vorschüsse, Nachschüsse, Hypothekengelder (seiner Bauernhöfe wegen); dann geht es um Steuerschulden, nicht näher genannte plötzliche „Entsetzlichkeiten“, und das alles über mehr als 20 Jahre, verbunden mit Kündigungsdrohungen, Verlags- und Vertragsschelten (mehrfach will er geleistete Unterschriften wieder zurückziehen). Th. B. ersinnt immer neuen Finten, was Unseld einmal veranlasst, Bernhard, dem er zuvor bereits in Notwehr die mageren Absatzzahlen des großen Beckett Titel für Titel vorgerechnet hat, zu gratulieren: „Sie haben mir den geschicktesten und raffiniertesten Brief geschrieben, den mir jemals ein Autor zugesandt hat.“

Trotzdem lehnt Unseld gelegentlich ab. Und der Verleger („der auch ein Mensch ist“ und nicht immer „wie ein Hund geprügelt werden will“) agiert noch als Beute seines Genieautors als großer Jäger. Jedes Mal wenn Bernhard schon die Scheidung ausgerufen hat, arrangiert Unseld mit seinerseits fantastischen Finten eine neue Verlobung. Und der Autor, der seinem Verleger gleichfalls immer wieder Genie attestiert (nach dem Motto: Sie sind der Größte, also können Sie mir doch nichts abschlagen!), er glaubt dann selber an eine neuerliche Liebesheirat.

Darüber hinaus ist Unseld ein höchst aufmerksamer Leser der Bernhardschen Manuskripte. Und dieser lenkt ein, wenn Unseld einen falschen Superlativ oder ein verdecktes Plädoyer für die Todesstrafe moniert. Als Unseld seinen Autor kurz vor Bernhards Herztod ein letztes Mal im Winternebel trifft, notiert der Verleger, nun auch er Poet und Prophet: „Blind-Sinkflug nach Salzburg, plötzlich war der Flughafen da, hell und dunkel. Das Schöne und das Gefährliche gemischt.“

In der vierstündigen Version des Münchner Hörverlags (3 CDs,19,95 €) übrigens spricht Peter Simonischek den österreichischen Grantler Th. B. und Gert Voss, ganz hochdeutsch, den schwäbischen Großverleger. Schon das ist ein psychologisches Kabinettstück von wahrhaft abgründiger Komik. Ein Geisterfest! Bernhard und Unseld überleben in dem Moment, da Suhrkamp nach Berlin zu ganz anderen, neuen Ufern aufbricht.

Zur Startseite