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Kultur: Verleger Klaus Wagenbach übt seit 35 Jahren den Spagat zwischen politischer Utopie und kommerziellem Erfolg

Es muss eine lustige Party gewesen sein. Günter Grass tanzte im gestreiften Jackett zu Beatles-Musik vom Plattenspieler, Uwe Johnson sog an seiner Pfeife, Johannes Bobrowski schmuste befeuert vom Schnaps mit einer Blondine, wie am Tage drauf in der Klatschpresse zu lesen war.

Es muss eine lustige Party gewesen sein. Günter Grass tanzte im gestreiften Jackett zu Beatles-Musik vom Plattenspieler, Uwe Johnson sog an seiner Pfeife, Johannes Bobrowski schmuste befeuert vom Schnaps mit einer Blondine, wie am Tage drauf in der Klatschpresse zu lesen war. Nur Stephan Hermlin musste vorzeitig gehen und wieder "nach drüben" - sein Passierschein galt lediglich bis Mitternacht. Irgendwann zog auch Hans Werner Richter mit seiner Truppe weiter nach Dahlem. Klaus Wagenbach hatte an jenem Abend im Frühjahr 1965 zur Buch- und Verlagspremiere mit Königsberger Klopsen, Bier und Doppelkorn geladen - ein Abend, der in die Annalen der West-Berliner Literaturgeschichte einging.

Die eigentliche Geburtsstunde des Wagenbach Verlages schlug aber bereits im Herbst 1964. Vor exakt 35 Jahren meldete der gelernte Buchhersteller und studierte Germanist in Berlin sein Gewerbe an. Anders als viele seiner Generationsgenossen musste er seitdem nicht mehr lange durch die Institutionen marschieren. "Deutschlands jüngster Verleger" schuf sich einfach seine eigene.

Der heute 69-Jährige trägt Socken, die so knallrot sind wie die Buchrücken seiner erfolgreichen "Salto"-Reihe im Wandregal. Die rote Farbe ist nicht nur Ausdruck politischer Überzeugung, sie ist sein Markenzeichen - und Teil des Erfolgsgeheimnisses. "Ein kleiner Verlag, wie wir einer sind, muss sichtbar sein. Wer die roten Bücher erblickt, muss sofort wissen: Das ist Wagenbach." Zwanzig Angestellte und sechzig Titel im Jahr bei fünf Millionen Mark Umsatz: Das ist in Zeiten der Marktkonzentration keine Selbstverständlichkeit für einen unabhängigen Verlag, grenzt eher an ein kleines Wunder.

Kein Wunder dagegen, dass Wagenbach in Zeiten der Deregulierung ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Buchpreisbindung ist. "Ohne feste Ladenpreise stünden wir nicht da, wo wir sind", sagt er. Ohne seine Erfolgstitel, wie die Ausgabe der Liebesgedichte von Erich Fried, die sich seit 1979 immerhin 362 000 mal verkaufte, wohl auch nicht. Gut dreißig Prozent der Auflage finanzieren die restlichen zwei Drittel: Das nennt man Mischkalkulation. "Natürlich haben wir auch viele Irrtümer gedruckt, vor allem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Aber stets mit Überzeugung!" Das meint der Büchermacher, der sich hartnäckig dagegen wehrt, zum Buchmacher zu werden, eher politisch als betriebswirtschaftlich. Noch immer doziert Wagenbach gerne über die Schwächen des Kapitalismus. Wenn er etwas in seiner linken Erfolgsgeschichte bedaure, so sei es das Scheitern seiner ursprünglichen Idee, einen gesamtdeutschen Verlag zu gründen.

Mitte der sechziger Jahre kam Wagenbach just in der Zeit nach Berlin, als die meisten Verlage die Mauer-Stadt gerade verlassen hatten. Schriftsteller wie Günter Grass, Christoph Meckel, Ernst Schnabel, Reinhard Lettau oder Hans Magnus Enzensberger zog "der marode Charme Berlins" hierher - ebenso wie Wagenbach. Der junge Lektor war gerade vom S. Fischer Verlag entlassen worden, nachdem er auf der Frankfurter Buchmesse gegen die Verhaftung eines DDR-Verlegers protestiert hatte. Fortan hielt er erst recht den Kontakt zum literarischen Deutschland jenseits des noch nicht ganz so undurchdringlichen eisernen Vorhangs: zu Günter Kunert, Volker Braun, Wolf Biermann und vielen anderen. Seine berühmten schwarzen "Quarthefte" wollten Ost- und Westliteratur vereinen, doch der Zeitgeist dankte es dem Verleger nicht. Die konservative Presse, allen voran Axel Springer, von dem Wagenbach noch heute in höchst unfeinen Worten spricht, boykottierte seine Bücher wegen der Veröffentlichung des DDR-Staatsschriftstellers Stephan Hermlin. Der Osten quittierte die Publikation von Biermann-Texten mit einem Einreise- und Transitverbot.

Aus dem geplanten gesamtdeutschen Verlag wurde stattdessen ein Unternehmen für die westdeutsche Linke, es war die Zeit der APO. "Damals waren wir Nachrichtenbörse, Nachtlager, Mittagstisch, Wärmstube und Dienstleistungsbetrieb", erinnert sich der Alt-Linke, der auch im westdeutschen Agitationsklima immer wieder zwischen die Fronten geriet. In der Nacht vor der Beerdigung Ulrike Meinhofs erhielt Wagenbach einen Anruf: Ob er nicht an ihrem Grab sprechen könne, es fände sich kein anderer Redner. Wagenbach sprach. Schon kurze Zeit danach bedrohten ihn RAF-Mitglieder, weil ein Autor seines Verlages entgegen der herrschenden Doktrin der Sympathisanten-Szene die sogenannte "Stammheimer Selbstmordthese" vertrat. Immer wieder musste sich der Verleger vor Gericht verteidigen lassen (meist erfolglos von Otto Schily), etwa als er von der "Ermordung" des Studenten Georg von Rauch sprach, den ein Polizist 1971 nach offizieller Darstellung "versehentlich erschossen" hatte. Auf den Titel "Deutschlands am meisten vorbestrafter lebender Verleger" ist Wagenbach noch heute stolz.

Die diskursive Prosa, die immer wieder aneckte, erschien seit 1979 in der Zeitschrift "Freibeuter". Im Frühjahr wurde das Blatt eingestellt. Heute sind so bedeutende Denker wie Stephen Greenblatt, Nathalie Zemon Davis oder Pierre Nora in den sorgsam edierten Bändchen der "Kleinen Kulturwissenschaftlichen Bibliothek" vereint. Vorrangig ging es dem promovierten Kafka-Biographen aber stets um Belletristik. Zwanzig Jahre lang versammelte das literarische Jahrbuch "Tintenfisch" Texte überwiegend deutschsprachiger Dichter. Während der achtziger Jahre ging der Verlag dann auf die italienische Reise und druckte fast vergessene Autoren wie Luigi Malerba oder Goffredo Parise. Auf "die deutsche Jammer- und Bestätigungsliteratur" hatte Wagenbach "einfach keine Lust". "Mittelmeerisches" nennt der Renaissance-Kenner mit dem obligatorischen Zweitwohnsitz in der Toskana als seine große Liebe.

Von Müdigkeit ist bei dem notorischen Bibliophilen auch in den ausgehenden neunziger Jahren keine Spur. Mittlerweile hat er Auszeichnungen und Ämter angehäuft, darunter das Bundesverdienstkreuz und eine Ehrenprofessur an der Freien Universität. Das alles ist ihm aber weit weniger wichtig als der Verlag, den er führt wie ein Relikt aus vergangenen Tagen blühender Utopien. Da steht noch immer der große Tisch, an dem die Belegschaft täglich beim kollektiven Mittagessen und wöchentlich beim Plenum sitzt: "Da kommen dann der Peer und die Susanne und der Lektor und alle anderen und diskutieren." Vor kurzem ist Wagenbach mit seinem Verlag an den Wilmersdorfer Ludwigkirchplatz umgezogen. Nach Mitte wollte er nicht. "Ein Meinungsverlag unserer Sorte sollte auch räumlich auf Distanz zur Regierung bleiben", findet der unverbesserliche Linke. In der "neuen Mitte" ist die Institution Wagenbach noch nicht angekommen. Aber da will sie auch gar nicht hin.Anlässlich des 35. Betriebs-Geburtstages spricht Klaus Wagenbach am Sonnabend, dem 9. Oktober, um 20 Uhr im Grips-Theater (Altonaer Str. 22) darüber, "wie man gute Bücher findet, macht und überlebt", Thomas Ahrens und Regine Seidler lesen Texte des Verlages

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