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Kultur: Verlorenes Paradies

Nach den Anschlägen: Erinnerungen an das Hippie- und Taucherparadies Dahab am Roten Meer

Hier wird so etwas nie passieren, versicherten mir die Besitzer meines kleinen Taucherhotels immer wieder. Dahab, die friedliche Idylle zwischen Rotem Meer, Wüste und Sinai-Gebirge, schien ein für Gewalt und Terroranschläge undenkbarer Ort. Rucksack-Touristen und Taucher aus aller Welt, späte Hippies, Aussteiger, Pilger zu den wenige Stunden entfernten Heiligen Stätten wie dem Mosesberg und dem Katharinenkloster fühlten sich sicher in dem kleinen Kaff am Golf von Akaba. Selbst als die Terrorakte in den letzten Jahren immer näher einschlugen, in Taba, Sharm-el-Sheikh und Nuweiba, bestand die verschworene Gemeinde aus Einheimischen und Dahab-Dauerreisenden darauf: So etwas wird hier nie passieren.

Dahab war die kleine Insel der Glückseligen im Meer des ägyptischen Massentourismus. Ein paar hundert meist beduinische Einwohner empfingen die Gäste mit großer Herzlichkeit unter völligem Verzicht auf die gewohnte arabische Geschäftstüchtigkeit.

Im kleinen Basar, dessen Herz die drei Bomben zerstörten, pochte der Rhythmus der Langsamkeit des Seins. Das für Dahab typische Musikgemisch aus arabischen Klängen und Trance beschallte die ungeteerten staubigen Dorfstraßen. Träge saßen die Händler in fußlangen weißen, taubenblauen oder braunen Kaftanen und mit politisch allerdings belanglosen Palästinensertüchern um den Kopf geschlagen auf Schemeln vor ihren Kramläden. Wer mochte, konnte ungezwungen nach eben jenen Kaftanen, Tüchern, Ledertaschen, Silberschmuck oder typischen Dahab-Taucher-Shirts („Dive Now – Work Later“) stöbern. So wie hier hatte kein Händler der arabischen Welt die Ruhe weg. Wer sich freiwillig ins Innere der holzgezimmerten Buden begab, wurde zu duftendem Tee oder starkem Kaffee, zum Verweilen auf einen Plausch in gebrochenem Englisch eingeladen.

Die verwackelten Bildern des staatlichen ägyptischen Fernsehens zeigen umgeworfene Gewürzsäcke inmitten von Blutlachen, Ambulanzen, Menschen in Todesangst, Leichen. Dahab, das verlorene Paradies. Nie wieder wird es so sein wie zuvor. Dort, wo man sich beim ersten Mal fast erschrocken an die griechischen Hippie-Oasen der siebziger Jahre erinnert fühlte. Dort, wo man auf Flickenteppiche gebettet am Strand bei einem heißen oder kalten Kakadee, dem roten Malventee, stundenlang aufs blauwogende Rote Meer und die Küste Saudi-Arabiens starren konnte. Dort, wo man schnell Anschluss fand, an temporäre Tauchergemeinschaften, die einen mitnahmen zu den nahe gelegenen Tauchgründen wie dem legendären „Blue Hole“, wo einen gleich beim Eintauchen ins handwarme Wasser schillernde Fische umschwirren. Mancher unvorsichtige Taucher ließ hier in der Tiefe sein Leben, davon künden die bunten Inschriften auf den Felsen.

Dort, wo die Beduinen mit ihren verrosteten offenen Jeeps von verwunschenen Orten wie der Lagune für eine Handvoll ägyptischer Pfund mit den Fremden zu einer Wüstentour aufbrachen. Wo sie in Oasen Fladenbrote über offenem Feuer buken, und mit Salaten, Quark und Humus zubereiteten. Dort, wo man ungesichert durch den „White Canyon“ und den „Colored Canyon“ kraxelte, vorbei am „Magic Mushroom“.

Dahab war ein magischer, unwahrscheinlicher, offenbar aus der Zeit gefallener Ort. Abends, zwischen den Lagerfeuern am Strand, kreiste auch so manche Flasche Bier und Schnaps. Doch die Beduinen, kannte man sie einmal näher, waren stetig besorgt um Nachschub vom „besten Gras der Welt“, homegrown im besonderen Klima des Sinai.

Zwar erwarben zuletzt immer mehr Ägypter aus Assuan und Kairo kleine Läden im Basar, bauten sie aus, stockten sie auf – schließlich war Dahab von der Regierung Mubarak zum „touristischen Entwicklungsgebiet“ erklärt worden. Die Strandpromenade wurde ins Niemandsland hinein asphaltiert. Einige größere Ferienanlagen entstanden in den letzten Jahren, Sharm-el-Sheik und der Flughafen sind nur eine gute Autostunde entfernt, am Ortseingang von Dahab gab es einen Militärposten. Aber nie hörte man ein böses Wort von den Beduinen, die sich, von ihrem angestammten Grund und Boden entfremdet, immer mehr ins dorfeigene Ghetto Assalah, zwischen freilaufenden Ziegen, Schafen und Kamelen auf ihre traditionellen Lebensgewohnheiten zurückzogen.

Dahab tickte noch immer anders als andere touristische Entwicklungsregionen, dort tickten keine Zeitbomben. Und jetzt sind sie doch explodiert, gleich drei Mal in Restaurants. Wie dem „Al Capone“ an der Strandpromenade, das die Gäste anzog, weil es dort nie Schießwütige gab, keine fanatisierten Moslems, weil der Nahostkonflikt und die Friktionen der Welt so weit weg zu sein schienen. Jetzt ist es doch auch in Dahab passiert, die grausame Normalität des Nahen und Mittleren Ostens Realität geworden.

Ute Büsing

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