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Kultur: Verlust der Zivilgesellschaft

Ein Symposium über jüdische Mäzene damals – und Restitution heute

Eduard Arnhold sammelt sich morgendlich zur Andacht vor seinen Gemälden, um für den Berliner Geschäftsstress aufzutanken. Eduard Müller und seine Frau, Dresdner Kokoschka-Sammler, erleben noch, dass ihre Zwillinge nach Südamerika auswandern; sie selbst sterben in Auschwitz und Theresienstadt. James Simon, den Neider einen „Kaiserjuden“ nennen, leiht sich – wenn sein jährlicher Kunstetat ausgeschöpft ist – Geld aus der Kasse seines Baumwollhandels, oder er nimmt Kredit auf. Rudolf Mosse, der bis 1913 25 Millionen in sozialen Projekten anlegte, ruft ein Rabbiner nach, der Berliner Verleger habe „seinen Glauben durch Werke der Barmherzigkeit“ bekannt. Ismael Littmann, Breslauer Wirtschaftsjurist, sammelt bis 1930 334 Gemälde. Von NS-Behörden wegen fiktiver Steuerschulden beschlagnahmt, beschert seine Sammlung dem Stadtmuseum den größten Zuwachs seiner Geschichte.

Es geht nicht um den Kunstmarkt oder um Museen, sondern um: Personen. Es geht um die Revision – sagt Staatsminister Neumanns Ministerialdirektor Hermann Schäfer – einer damnatio memoriae: So hieß die im alten Rom praktizierte Eliminierung Missliebiger aus der Überlieferung. Bis zum Sommer 1939 seien alle Namen jüdischer Stifter (deren Anteil an der Förderung des Gemeinwohls überproportional war) von den NS-Behörden getilgt worden. Auch das habe zur Vernichtung der Juden gehört, sagt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Klaus-Dieter Lehmann begrüßt, dass just zum Tagungstermin Berlins größter Mäzen durch die Gründung eines James-Simon-Kreises geehrt wird, der alle zwei Jahre einen sozial und kulturell aktiven Wohltäter mit dem James-Simon-Preis auszeichnen soll. Man fordere aktuell wieder mehr Bürgereinsatz. Dennoch seien die meisten Stifternamen der nationalsozialistischen damnatio memoriae „im Bewusstsein der Bevölkerung ausgelöscht“.

„Sammeln – Stiften – Fördern. Jüdische Mäzene in der deutschen Gesellschaft“ heißt der Titel des Symposiums im Berliner Kunstgewerbemuseum. Das Zauberwort des Tages lautet „Zivilgesellschaft“. Als deren Protagonisten werden Personen porträtiert, die durch Sammlungen ihre Kulturstädte erblühen ließen, die ein „offenes Haus“ für Künstler führten, Kranken- und Waisenhäuser gründeten, Forschungs- und Bildungsinstitute beschenkten. Das habe dem Assimilationsprozess genützt, sagt Annette Weber (Heidelberg). Ihr „Bildungsidealismus“ habe auch der Selbstbehauptung gedient. Gerade jüdischen Sammlern sei es um den Verständniskontext gegangen: Das Gesamtkompendium sei ihnen wichtig gewesen, der eigene Kosmos. Weitere Motive der Citoyens sortiert Elisabeth Kraus (München): Suchten sie Kompensation für politische Passivität? Kraus erkennt im säkularisierten Gerechtigkeitsgebot, der zedeka, den stärksten Antrieb. Dazu gehörte, neben der Armenfürsorge, die Förderung von Talenten.

Die Präsentation von Musterbürgern engt den Erkenntnishorizont allerdings ein. Dass dabei als „jüdische Mäzene“ auch Getaufte gelten, bleibt unreflektiert; der Vergleich zwischen „jüdischen“ und „nichtjüdischen“ Stiftern entfällt, weil das Verhalten letzterer bislang unerforscht blieb. Auch dass selbstlose und eigennützig politische Interessen einander oft berühren, hätte sich pointiert zeigen lassen: an der Familie Mendelssohn, die Deutschland über vier Generationen mit sozialen, wissenschaftlichen, kulturellen Stiftungen beschenkt hat. Und läge es nicht nahe, die Öffentlichkeit zu informieren, wie sich Erfurt im früh nationalsozialistischen Thüringen durch einen Stifter (dem Kirchners „Straßenszene“ gehörte) zur Enklave moderner Kunst entwickeln konnte?

Die Provokation des Tages übernimmt dann doch der Bochumer Historiker Constantin Goschler. Während zur gleichen Zeit im Kanzleramt Staatsminister Neumann und Georg Heuberger von der Jewish Claims Conferenz übereinkommen, die Restitutions-Handreichung von 2001 „mit Blick auf ihre friedensstiftende Wirkung und Praktikabilität“ zu überprüfen, „Provenienzrecherche“ und „Transparenz“ zu stärken, sagt Goschler: Heutzutage benutze man gern jüdische Mäzene von einst, um neue Citoyens zu mobilisieren: „Die Juden sind unser Vorbild. Gehet hin und spendet, tut etwas für die Kultur!“ Zugleich erwarte man von Restitutionsempfängern, dass sie sich „als Mäzene und nicht etwa als Marktteilnehmer verhalten“. Die Zivilgesellschaftsdebatte verlaufe zwiespältig. Nach 1945 sei unter alliiertem Druck restituiert worden, gegen die Stimmung der Bevölkerung.

Die zweite Restitutionsphase ab 1990 habe Westdeutschland den Ostdeutschen aufgenötigt und damit demonstriert: „So zivil sind wir geworden.“ Nun zeigten sich Risse in der Selbstzufriedenheit, man verfalle in „hektische Nervosität“. Die Juden gerieten „in den Verdacht, vaterlandslose Gesellen zu sein. Will man den Kunstmarkt kritisieren oder die Juden?“ Deren „Ausschluss aus der Zivilgesellschaft“ sei vormals durch die Paarung „Jude“ und „Geld“ begründet worden: Das werde gerade aktualisiert. Man müsse sich dringend über Begriffe verständigen. Zum Mäzenatentum jener Tage, sagt Goschner, führt kein Weg zurück.

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