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Kultur: Verrat im Nebenzimmer

Renato Palumbo zeigt für Rossinis „Otello“ in Pesaro zu wenig Temperament

Vermutlich sind die Gedanken Renato Palumbos in der vergangenen Spielzeit schon öfter sehnsüchtig gen Pesaro enteilt: endlich weg aus dem unwirtlichen Berlin, wo die Presse hämisch und das Publikum garstig ist, wo die Oper ein ärgerer Intrigenstadl ist als in Neapel oder Palermo! Stattdessen heim ins sonnige Bella Italia, ins Bayreuth der Italiener, wo’s ganz der Kunst Rossinis gilt und wo man den Dirigenten noch gebührenden Respekt erweist. Die prestigeträchtige Eröffnungsproduktion der Opernfestspiele dürfte für Palumbo außerdem ein Trostpflaster sein: Gerade erst wurde bekannt, dass der erst im letzten Jahr angetretene Generalmusikdirektor der Deutschen Oper das Handtuch wirft und seinen 2009 auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird – da tut der warmherzige Beifall, mit dem das italienische Publikum am Ende der „Otello“-Premiere den Maestro bedenkt, doppelt gut.

Was aus dem Orchestergraben der Arena Adriatica, einem für die Festspielzeit zum Opernhaus umgenutzten Sportstadion im Norden Pesaros, heraufschallt, klingt auch tatsächlich so, als habe da einer ganz lang seine Heimat entbehrt und würde nun jeden Sinneseindruck mit verdreifachter Intensität aufsaugen wollen: Jede Melodie lässt sich Palumbo bis in den allerletzten Diminuendo-Geschmackszipfel hinein auf der Zunge zergehen, macht bei jeder Zäsur erst mal Pause, um die italienische Opernluft in sich hineinzusaugen, und verklärt jeden rhythmischen Partikel zur samtigen Streicheleinheit.

Immer wieder lenkt der Dirigent dabei das Ohr auf Details, die in der Rossini-Routine des italienischen Kapellmeisteralltags meist mit achtloser Selbstverständlichkeit absolviert werden: Seht her, wie schön diese Cellolinie in der Ouvertüre ist! Welch Mozart’scher Einfall diese göttlichen Holzbläsereinwürfe, die wie kleine Hormonschübe das tenorale Begehren in atemberaubende Tonhöhen treiben! In der Entwicklung des romantischen Orchesterklangs um 1820, macht Palumbo klar, spielt Rossini mit seinen neapolitanischen Opern eine genauso wichtige Rolle wie zeitgleich Carl Maria von Weber nördlich der Alpen.

Und doch scheitert er bei Rossini genauso wie an seinem Berliner „Freischütz“, dessen Premieren-Fiasko im März wohl letztlich den Ausschlag für seine Entscheidung gab, Berlin zu verlassen. Denn so sehr es ihm auch gelingt, dem Opernorchester von Bologna leuchtende, in den tiefen Streichern mitunter fast deutsche Farben zu entlocken, so wenig scheint er ein Gespür für das dramatische Timing von Rossinis Musik zu besitzen. Was im Falle des „Otello“ besonders fatal ist. Denn dieses Zwischenergebnis auf Rossinis Weg hin zum Musikdrama hätte einen Dirigenten gebraucht, der das Geschehen antreibt und ihm die Hitzigkeit und Unausweichlichkeit der Tragödie gibt, die die Musik selbst in ihrer zögerlichen Loslösung von der Nummernoper nur teilweise heraufzubeschwören weiß. Einen, der in den großen Ensembleszenen für den Überdruck sorgt, der einen plötzlichen Tempowechsel als Moment jähen Entsetzens oder bestürzten Innehaltens rechtfertigt. Einen Dirigenten, der eben jenen Urinstinkt für theatralische Überrumpelungswirkungen besitzt, die der italienischen Oper erst ihren mitreißenden Drive verleihen. Doch dieses Theaterblut fehlt Palumbo offenbar – der Italiener mag ein guter Dirigent sein, doch weder in Berlin noch in Pesaro kann er zeigen, weshalb er ausgerechnet Oper dirigiert.

Dass Palumbo ausgerechnet die Eröffnung der Festspiele zugefallen war, dürfte ohnehin weniger seine erwiesene Rossini-Kompetenz bewirkt haben als die Tatsache, dass dieser „Otello“ eine Koproduktion mit der Deutschen Oper ist, wo er im Frühjahr 2009, und dann 2010 in der sinnfälligen Kombination mit Verdis „Otello“, gegeben werden soll. Sollte das Stück in dieser Form tatsächlich an die Bismarckstraße gelangen, ist allerdings nicht nur Maestro Palumbo, sondern auch der Deutschen Oper ein weiteres buhumtostes Premierenfiasko garantiert. Abgesehen vom peruanischen Tenorgott Juan Diego Florez, der als verschmähter Liebhaber Rodrigo wieder einmal eine Lektion in Rossini-Gesang erteilt, und der (fast zu) jungen, koloraturagilen Desdemona der Berliner Hanns-Eisler-Schülerin Olga Pertyatko zeigt die Besetzung eher, wie schwer die großen Rossini-Opern auch nach drei Jahrzehnten ihrer Renaissance noch zu besetzen sind. Mit den Amerikanern Gregory Kunde (Otello) und Chris Merritt (Jago) stehen zwei Rossini-Tenöre auf der Bühne, die ihre besten Jahre schon hinter sich haben – ein Festival, das sich maßstäbliche Aufführungen zum Ziel gesetzt hat, müsste da eigentlich mehr bieten.

Auch die Inszenierung des Altroutiniers Giancarlo Del Monaco tut nichts, um dem Mohrendrama besondere Dringlichkeit zu verleihen oder durch dramatische Sogkraft ein paar angegriffene Spitzentöne zu kompensieren. Aus dem trügerischen Idyll eines himmelblauen Einheitsraums lösen sich schon während der Ouvertüre neun Türen heraus, aus denen neun Jago-Doubles treten.

Hinter jeder Tür steckt ein Verräter, und wenn du einem vertraust, bist du schon verloren, so die schlichte Botschaft, die den ganzen Abend über durch die hin- und herfahrenden Türen wiederholt wird. Dem animiert buhenden Festivalpublikum missfällt’s. Aber zumindest Renato Palumbo dürfte dieser Lebensweisheit wohl uneingeschränkt zustimmen können.

Jörg Königsdorf

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