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Kultur: Verständigung ist möglich. Nur worüber?

Die Sehnsucht nach dem Dialog ist grundsympathisch. Sie entspringt dem Ungenügen an einer modernen Gesellschaft, in der Politik, Wirtschaft und Kultur isoliert vor sich hinwerkeln.

Die Sehnsucht nach dem Dialog ist grundsympathisch. Sie entspringt dem Ungenügen an einer modernen Gesellschaft, in der Politik, Wirtschaft und Kultur isoliert vor sich hinwerkeln. Eine Brücke schlagen möchte der Dialog, zu dem die Autorenbuchhandlung und Hans-Christoph Buch mit der vierteiligen Gesprächsreihe "Schriftsteller treffen Politiker" anstiften wollen. Alles möge wieder werden wie damals, als Willy Brandt mit den Schriftstellern in den Wahlkampf zog.

Dass dieser Schulterschluss etwas jüngeren Zeitgenossen eher fern liegt, machte die vorletzte Veranstaltung der Reihe am Donnerstagabend im Haus der Berliner Festspiele glauben. Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (Jahrgang 1954) und der wohl erfolgreichste junge deutsche Schriftsteller Ingo Schulze ("33 Augenblicke des Glücks", "Simple Storys", Jahrgang 1962) hatten sich nämlich herzlich wenig zu sagen. Um es frei nach Karl Valentin zu formulieren: Der Dialog wäre schon eine schöne Sache - wenn man kein Gegenüber bräuchte.

Gleich zu Beginn äußerte Julian Nida-Rümelin seine Bedenken, an der Gesprächsreihe überhaupt teilzunehmen: "Das ist nicht mein Job." Er sei kein Kurator oder Intendant, verantworte keine Inhalte. "Ich finde es immer peinlich, wenn Minister auf Ausstellungseröffnungen von Museumsmitarbeitern geschriebene Reden ablesen." Er schweige, wenn er nichts Klares sagen könne. Mit Wittgenstein zeigte sich Nida-Rümelin als überzeugter Vertreter der ausdifferenzierten Gesellschaft.

Letztlich sind für Philosophen auf Ministersesseln nicht die Argumente ausschlaggebend: Er säße jetzt auf dem Podium, weil auch Wolfgang Thierse, Antje Vollmer und der Kanzler mit von der Gesprächspartie seien. Daraus folgt: Jeder ist für seine Bezugsgruppe selbst verantwortlich.

Eingangs las Ingo Schule aus einem unveröffentlichten Briefroman. Ein Schüler will darin den Zwängen der DDR entkommen, indem er zu seinem Leben eine ästhetische Distanz einnimmt: Er beginnt, es als eine aufzuschreibende Novelle zu betrachten. Bald meiden die Klassenkameraden Enrico Türmer, der sich für allmächtig hält, obwohl ihm die Novelle nicht gelingen will. Erst mit dem Ende der DDR platzt der Knoten: Aus dem unglücklichen Schriftsteller wird 1990 ein glücklicher Geschäftsmann.

Aha, übersetzte Nida-Rümelin: Verlust der sozialen Kohäsion, Austritt aus der partikularen (Schüler-)Welt, Verzicht auf moralische Wertung. Ein wenig verdutzt dankte Ingo Schulze für die Einlassungsbereitschaft des Ministerphilosophen. Manch zäher Kurzvortrag über Tonio Kröger, die Bundeskulturstiftung oder die Rolle der Philosophie fogte. Dann versuchte auch Schulze, Nida-Rümelin in seinen Arbeitsbereich zu übersetzen und fragte: Von welchen Autoren sind Sie angeregt worden?

Verständigung zwischen Kultur und Politik ist also durchaus möglich. Nur über welche Themen, wussten beide Teilnehmer nicht so recht. Ob diese Ratlosigkeit bereits eine Folge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung ist?

Jörg Plath

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