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Kultur: Verteidigung der schlichten Menschen Büchner-Preis: Ehrungen für Kronauer & Sloterdijk

Der Auftritt von Brigitte Kronauer bei der Entgegennahme des Georg-BüchnerPreises im Rahmen der Herbsttagung der Darmstädeter Akademie für Sprache und Dichtung war die beeindruckende Demonstration einer Erzählkünstlerin, die ihr Kunstverlangen mit einer leidenschaftlichen, ja politischen Parteinahme für das Schicksal der unauffälligen „Mittelmaßbürger“ und „kleinen Leute mit sehr großen Schmerzen und kleinen Hypochondrien“ zu verbinden weiß. Jene Skeptiker, die in der Genauigkeitsemphase der Kronauerschen Sätze zu viel Kunst-Prätention am Werk sehen, wurden durch ihre eminent politische „Woyzeck“-Interpretation und ihr Bekenntnis zur „spröden Menschenliebe der Literatur“ widerlegt.

Der Auftritt von Brigitte Kronauer bei der Entgegennahme des Georg-BüchnerPreises im Rahmen der Herbsttagung der Darmstädeter Akademie für Sprache und Dichtung war die beeindruckende Demonstration einer Erzählkünstlerin, die ihr Kunstverlangen mit einer leidenschaftlichen, ja politischen Parteinahme für das Schicksal der unauffälligen „Mittelmaßbürger“ und „kleinen Leute mit sehr großen Schmerzen und kleinen Hypochondrien“ zu verbinden weiß. Jene Skeptiker, die in der Genauigkeitsemphase der Kronauerschen Sätze zu viel Kunst-Prätention am Werk sehen, wurden durch ihre eminent politische „Woyzeck“-Interpretation und ihr Bekenntnis zur „spröden Menschenliebe der Literatur“ widerlegt.

Patrick Bahners, Feuilletonchef der „FAZ“, hatte in seiner Laudatio nicht die schüchternen Hausfrauen, Witwen, Apotheker oder Lehrerinnen aus Kronauers früher Prosa thematisiert, sondern einzig die romantischen Leiden und Entzückungen des Literaturdozenten Matthias Roth, der Hauptfigur in Kronauers 1986 publiziertem Roman „Berittener Bogenschütze“. So erhellend auch Bahners all die intertextuellen „Hall-Effekte“ und „Echowirkungen“ der Kronauerschen Prosa offen zu legen wusste, so fehlte ihm doch gänzlich das Sensorium für die politischen Energien dieser Texturen. In ihrer Woyzeck-Lektüre hat Brigitte Kronauer hingegen ihren politischen Kurs klar markiert: Es geht darum, „mit der Illusion von der Einfachheit des schlichten Menschen“ aufzuräumen und den ohnmächtigen Subjekten eine Sprache zu geben. Dieses Verständnis von literarischer Modernität ist den meisten Kronauer-Interpreten bislang entgangen.

Die Intellektuellen, so hat Peter Sloterdijk einmal gesagt, können als „gerüchteproduzierende Klasse“ zwar nicht die Menschheit verbessern, „wohl aber den Satzbau“. Die Darmstädter Akademie hat sich an diese Empfehlung in den vergangenen Jahren nicht gehalten. Mit intellektuellem Behauptungsstolz, geboren aus gekränktem Geltungsdrang, verstrickte man sich in kulturpessimistische Abwehrkämpfe gegen die Rechtschreibreform und gegen eine durchweg als verderblich empfundene Mediengesellschaft. So war Thema der Herbsttagung, die mit der Verleihung der Akademiepreise am Samstag ausklang, dementsprechend „Talk statt Politik – Verschwindet die politische Rede?“, eine Fortsetzung des kulturkonservativen Gegrummels über „Boulevardisierung“. Die Referate der Herbsttagung: Lamentationen ohne Erkenntnisgewinn.

Mit Peter Sloterdijk, der mit dem Sigmund Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet wurde, hatte man einen Essayisten eingeladen, der mit seiner philosophischen Findekunst gerade jenen intellektuellen Eigensinn zu zelebrieren vermag, den man bei der Akademie so schmerzlich vermisst. Sloterdijks Dankrede verfügte über mehr stilistischen Charme und gedankliche Substanz als alle Akademie-Referate zusammen. Zunächst schien sich der Freud-Preisträger mit einem ironischen Kotau vor den Majestäten der Darmstädter Akademie zu begnügen. Aber dann zauberte der passionierte Ideen-Schmuggler wie nebenbei den christlichen Juristen Eugen Rosenstock-Huessy (1888–1973) aus dem Hut, um ihn flugs zum „bedeutendsten Sprachphilosophen des 20. Jahrhunderts“ zu erheben und damit das Genie-Ranking seiner Kollegen aus den Angeln zu heben. Nicht nur sein Laudator Boris Groys verfiel angesichts der Strahlkraft und Blendwirkung der Sloterdijkschen Prosa in eine Art Ehrfurchts-Starre und anhaltende Formulierungshemmung.

Als Hans Keilson, der hochbetagte Psychotherapeut und Schriftsteller, die Bühne des Darmstädter Schauspielhauses betrat, um siebzig Jahre nach seiner Vertreibung aus Deutschland den Johann Heinrich-Merck-Preis für sein Lebenswerk in Empfang zu nehmen, konnte er zu Tränen gerührt kaum noch den Satz sprechen, der die tiefe existenzielle Erschütterung des Exilanten markiert: „Ich bin wieder zu Hause.“ Seit 1945 hat Keilson in seiner Wahlheimat Niederlande in Romanen und tiefenpsychologischen Studien das abgründige Verhältnis von Verfolgern und Verfolgten des Nationalsozialismus ausgelotet. In diesem Frühjahr, in Keilsons 95. Lebensjahr, hat man den Kronzeugen eines barbarischen Jahrhunderts mit einer Werkausgabe seiner poetischen und essayistischen Schriften (bei S. Fischer) gewürdigt.

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