zum Hauptinhalt

Kultur: Verzerrungen

Fast abstoßend glatt wirken die perfekten Oberflächen der Gemälde von Sean Dawson auf den ersten Blick. In der Buchmann Galerie Berlin (Charlottenstraße 13, bis 28.

Fast abstoßend glatt wirken die perfekten Oberflächen der Gemälde von Sean Dawson auf den ersten Blick. In der Buchmann Galerie Berlin (Charlottenstraße 13, bis 28. Januar) zeigt der 1964 geborene, in London lebende Maler erstmals in einer größeren Ausstellung in Deutschland seine Bilder (kleine Formate 4500 Euro, große Formate 8500 - 18 000 Euro). Die beunruhigenden Gemälde entstehen aus verschiedensten fotografischen Bildvorlagen, die in einem langen Prozess mechanisch weiterbearbeitet, wieder abfotografiert und schließlich mit ungeheurer Präzision auf die Leinwand übertragen werden. So wenig wahrnehmbar sind hier die Übergänge, so unsichtbar die Pinselspur, dass man beim Betrachten der grellgrünen oder knallend lilafarbenen Hintergründe an die Airbrushtechnik der Pop-Artisten denkt. Doch weit gefehlt, der Künstler arbeitet in mehreren Schichten und feinsten Abstufungen. Als riesige Pinselstriche oder Spuren ziehen sich dagegen die scheinbar implodierenden Formen über die Leinwand, hier und dort blitzt ein Stück Architektur auf, das sich direkt daneben in eine Chromosomenhelix aufzulösen scheint. Wie in Rorschachtests setzen sich Formen fort, werden gespiegelt und reichen ins Unendliche des Bildraums. An einigen Stellen glaubt man Rudimente des Straßenverkehrs wahrzunehmen, in einen Rachen zu sehen, oder die Farben rufen Assoziationen an Filme hervor. Und obwohl manche Gemälde an die düsteren Science-Fiction-Visionen eines H.R. Giger erinnern, entsteht der Eindruck der Beunruhigung nicht aus den Motiven allein. Es ist vielmehr ein Sog, der in die Bilder hineinzieht und das Auge gleichzeitig nirgends ausruhen lässt, sondern den Blick in dieser überbordenden Bilderwelt permanent hin und her reisen lässt. Ob es dem Künstler nun um einer Welt im Wandel geht, um eine subtile Medienkritik oder schlicht Sampling-Prozesse in der Malerei, wird dabei fast zur Nebensache.

* * *

Auch der 1966 in Ebersbach geborene, in Berlin lebende Maler Jörg Scheibe variiert unterschiedlichste Fotovorlagen. In der Spielhaus Morrison Galerie (Reinhardtstraße 10, bis 28. Januar) zeigt er in der Ausstellung „Hybris / Debris“ zum einen seine kühlen „Tupperware“-Bilder, scheinbar zufällig gestapelte Plastikdosen, aufgereihte Ketschupflaschen oder einen Zuckerstreuer im einfachen Glasaschenbecher, die mit ihren durchscheinenden, glatten Materialien eine Ode auf die Oberfläche anstimmen. In einer anderen Werkgruppe nutzt er digitale Bildbearbeitungsprogramme, um die Motive zu farbschlingernden Strukturen zu verzerren, überträgt diese anschließend auf die Leinwand und gibt den Bildern Werktitel, die sich auf Songs von Bands wie Sonic Youth oder Helios Creed beziehen. „Black Planet“ heißt eins, ein anderes „Electric Funeral“. Und tatsächlich ist es keine schöne neue Welt, die Scheibe hier entstehen lässt. Ein Kosmos greller Farben und Farbschlieren, die scheinbar eine unkontrollierte Eigendynamik wie Quecksilber entwickeln. Die Bewegung der abstrakten Bilder geht dabei, anders als bei Dawson, nach außen. So, als wären die Motive mitten in der Explosion schockgefroren, erstarren sie zu einer spiegelglatten Struktur. Der Blick perlt daran ab, leichter Schwindel bleibt (1200 bis 6000 Euro).

Katrin Wittneven

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false