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Kultur: Verzichten muß man können

Hat man ein großes Theater, kann man sich der allgemeinen Sorge sicher sein und in Kürze sogar der persönlichen Betreuung durch einen leibhaftigen Staatsminister im Kanzleramt, der einem noch ein paar Milliönchen mehr zuschaufelt.Bezirkliche Kulturämter können davon nur träumen, selbst im gutbürgerlichen Steglitz sind die finanziellen Mittel in diesem Bereich ebenso karg bemessen wie die räumlichen Möglichkeiten.

Hat man ein großes Theater, kann man sich der allgemeinen Sorge sicher sein und in Kürze sogar der persönlichen Betreuung durch einen leibhaftigen Staatsminister im Kanzleramt, der einem noch ein paar Milliönchen mehr zuschaufelt.Bezirkliche Kulturämter können davon nur träumen, selbst im gutbürgerlichen Steglitz sind die finanziellen Mittel in diesem Bereich ebenso karg bemessen wie die räumlichen Möglichkeiten.Kein Wunder also, wenn die neue Ausstellung in der Schwartzschen Villa an der Grunewaldstraße, gleich neben dem Rathaus, weniger erschöpfende Informationen liefert als Anregungen zum Nachdenken und zum Erinnern.

Gemeinsam mit der Arbeitsstelle für kulturgeschichtliche Studien der HdK wird unter dem Titel "Um 1968 - Die Repräsentation der Dinge" darüber sinniert, wie sich vor dreißig Jahren die Beziehungen der Menschen in ihrer Waren- und Umwelt änderten.Umrankt von allerlei Devotionalien und Zeugnissen an die glorreichen Endsechziger (Kommune 1, Anti-Springer-Kampagnen, Minirock-gerechte Strumpfhosen und natürlich die "Pille") werden eine zeitgenössisch moderne Wohnzimmereinrichtung und das Ambiente einer "Studentenbude" einander gegenübergestellt.

Natürlich: Mit dem Wandel der Lebens- und Umgangsformen, dem Abräumen der letzten Reste der bürgerlichen Gesellschaft, wurde auch deren Wohnformen der Kampf angesagt.Nicht so ganz deutlich wird dabei jedoch, daß sich der Reiz von Möbeln vom Trödler, grob zusammengehauenen Regalen und der obligatorischen nackten Matratze auf dem Boden nur demjenigen erschloß, der die extreme Not der vierziger Jahre bestenfalls noch als Kleinkind vage miterlebt hatte, wie überhaupt die ganze Rebellion ja nicht zufällig zu einem Zeitpunkt erfolgte, da der Wohlstand nie gekannte Ausmaße erreicht hatte.Darüberhinaus war gerade der Schmuddellook eine Gegenreaktion auf eine asketische Moderne von äußerster Kühle, Reinheit und Eleganz, wie sie in den frühen Sixties weltweit triumphiert hatte und in der Ausstellung am deutlichsten von der Braun-Stereoanlage repräsentiert wird.

Etwas davon scheint im zweiten Raum durch, der weitere Kunstfaserprodukte und funktionale Möbel präsentiert und sich mit den Wohn- und Lebensverhältnissen in Ostdeutschland befaßt: Angesichts geringeren Wohlstands und der Nöte der Mangelwirtschaft bildete sich hier natürlich keine Wegwerf-, sondern im Gegenteil eine Recyclinggesellschaft heraus.Und verrottende Altbauten waren wie sperrmüllreife Möbel bis zum Ende der DDR wohl nicht so beliebt wie im Westen: Dem "bürgerlichen Besitzstandsdenken" zu entsagen, ist nur so richtig attraktiv, wenn es auch genug zu besitzen gibt und man nicht neuen Möbeln ebenso hinterherrennen muß wie gutausgestattetem Wohnraum.

Die Schau, die sich als "Work in progress" versteht, kann durch weitere Erinnerungen und Erinnerungsstücke ergänzt werden.Ausführlich wird die gesamte Thematik in einem empfehlenswerten Begleitband behandelt.

Schwartzsche Villa, Grunewaldstraße 55, bis um 6.Dezember, dienstags bis sonntags 10-18 Uhr, samstags erst ab 14 Uhr.Eintritt frei.Begleitband in der Ausstellung 20 DM.

JAN GYMPEL

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